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Predigt zu Lukas 17, 5-6 anlässlich der Konfirmation am
21. April 2013, Marktkirche Neuwied


Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
Liebe Eltern und Paten., liebe Festgemeinde,


Ja, ihr seht es richtig, eine Tube Senf habe ich heute morgen mitgebracht. Nicht weil ich immer meinen Senf dazu geben muss und auch nicht weil wir vielleicht einen neuen Hauptsponsor für den Gottesdienst oder gar unsere Orgel gefunden hätten.
Nein - vielmehr behaupte ich heute morgen: Senf hat etwas mit eurer Konfirmation zu tun.
In der Bibel gibt es ein kurzes spannendes Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern, da spielt das Senfkorn, also das Korn, aus dem der Senf gemacht wird, eine wichtige Rolle.
                           Lukas   17, 5-6
Es geht um die Zukunft der Jünger und um die Frage, ob und wie sie zukünftig klarkommen werden. Im Verlauf des Gespräches bekommen die Jünger leise Zweifel, Zweifel ob ihr Glaube nicht vielleicht doch irgendwie etwas zu winzig ist. Vielleicht ist er dem Leben gar nicht gewachsen.
Kann sein, dass Euch solche Fragen bekannt sind, Fragen wie und ob man dem Leben gewachsen ist, ob das, was man gelernt hat ausreichen wird. Und wird mein Glaube ausreichen?
Kann ich hier heute Morgen in der Marktkirche zu Neuwied so kühn vor Gott und in einer vollen Kirche sagen, dass ich glauben will, auch wenn ich noch gar nicht weiß, wie mein Leben laufen wird und was ich alles erleben werde. Wie weit wird mein Glaube mich tragen? Müsste der nicht viel größer sein, mein Glaube, vielleicht aufregender , wetterfester und hinreißender. So dass die Leute ihn sehen und ganz beeindruckt sagen: Wow!

Aber wenn wir ehrlich sind, macht mein Glaube doch meistens nicht viel her.
Die Jünger haben schließlich zu Jesus gesagt Herr, mach doch dass unser Glaube mehr wird und Jesus antwortet, wir haben es eben gehört: „Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeer baum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer und er würde euch gehorchen.“

Wisst ihr, wie groß ein Senfkorn ist?
Ich habe eines dabei. Es ist kaum zu sehen, so groß ist es oder auch so klein. Kein Wunder, dass es zu Jesu Zeit als das kleinste der Samenkörner galt. Glaube, der so groß ist wie ein Senfkorn, das ist doch lächerlich viel kleiner geht es doch eigentlich gar nicht mehr.

Jesus aber schaut einen millimetergroßen Senfkornglauben an und er sagt nicht: „Ach du liebe Güte. Der ist aber echt zu winzig für’s Leben. Geh, du mal lieber heim und komm in 20 Jahren noch einmal wieder.“
Nein, Jesus schaut diesen (unseren) Mini – Senfkorn Glauben an und er sagt: „Cool. Herzlich willkommen! Damit kannst du richtig was anfangen. Und ich auch!“

Die Jünger damals haben wohl gedacht: Hätte ich eine Riesenportion Glauben, dann müsste der doch eigentlich halten für die nächsten wasweißichwieviel Jahre, bis ich selber mal Oma oder Opa bin. Wenn ich eine Riesenportion Glaube hätte, dann würde der wahrscheinlich für mein ganzes Leben reichen. Selbst wenn das Leben unterwegs einiges vom Glauben abknabbert.

Nun gibt es aber leider keine Riesenportion Glauben auf Vorrat und das ist wohl auch gut so.
Wir können und wir sollen uns nicht darauf verlassen, dass unser Glaube superstark und heldenhaft, überzeugend und treu für ewig und einen Tag ist.
Wir dürfen uns allerdings darauf verlassen, dass Gott superstark und heldenhaft und überzeugend und treu für immer und ewig ist.

Sein großes Ja-Wort, das hat er uns bei unserer Taufe  auf den Kopf zugesagt, für uns, für unser Leben für immer. Ja für immer!
Und dazu können wir unser kleines Ja-Wort sagen und genau dazu wollen wir euch heute morgen ermutigen.
Ich habe in den Jahren seit meiner Konfirmation und das ist nun schon  mehr als 40 Jahre her, mein kleines Ja-Wort nicht jeden Tag mit derselben Selbstverständlichkeit und Sicherheit und so ganz bewusst gesagt. Da gab es sehr unterschiedliche Zeiten.
Wichtiger aber war für mich zu wissen. Für Gott gibt es keine unterschiedlichen Zeiten. Sein Ja-Wort steht und auch sein Ja-Wort zu mir! Das hat richtig Kraft. Das stärkt mich und es ruft mich auf, zu antworten und es piekst mich manchmal auch, mich daran zu erinnern. Und in schwierigen Zeiten ist es klasse, da darf ich mich einfach in sein Ja-Wort hineinfallen lassen. Auch das ist ja eine Art, mein eigenes kleines Ja-Wort zu sprechen.

Ein kluger Mensch hat die Sache mit dem kleinen Ja-Wort und dem Senfkorn einmal so auf den Punkt gebracht. Wir brauchen, so hat er gesagt, keinen großen Glauben. aber wir brauchen den Glauben an einen großen Gott.
Dieser große Gott achtet den kleinen Glauben. Dieser Gott schenkt unserem kleinen Glauben große Kraft. Das ist wie mit diesem winzigen Senfkorn hier, wenn ich es einmal einpflanze und es gut pflege, dann wächst daraus eine Pflanze, die mal mindestens 1,50 Meter groß werden kann. Sie wird blühen und Frucht bringen und das hätte man diesem Winzling gar nicht unbedingt zugetraut.

Der große Gott schenkt unserem kleinen Glauben große Kraft. Vielleicht wird es nicht immer die Kraft sein, Bäume auszureißen. Aber - wem wäre damit auch geholfen, wenn einer Bäume ausreißen kann.....
Wichtiger in unserer Welt ist doch die Kraft von Menschen, vielleicht auch manchmal nur die kleine Kraft, mit der wir auf andere Menschen zugehen können, weil Gottes Ja-Wort ja nicht nur uns selbst gilt. Wichtiger ist vielleicht die kleine Kraft, mit der wir auf andere zugehen können und uns mit Anderen versöhnen können Wichtiger als „Bäume – Ausreißen“ ist in unserer Welt die Kraft von Menschen, die sich von Gottes Wort anstoßen lassen, die sich von seinem Wort tragen und ermutigen lassen. Eure Konfirmationssprüche, die ihr Euch selbst ausgewählt habt, sind dafür gute Beispiele, denn ich finde ihr habt Euch alle, Worte aus der Bibel ausgesucht, die etwas von dem großen Vertrauen und der Zuversicht, die ihr in Gott legt, zeigen und deutlich machen.

Deshalb, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, wichtig ist in unserer Welt die große Kraft des kleinen Glaubens. Wichtig in unserer Welt seid ihr!
Also: Ich wünsche euch  nicht, dass ihr nach diesem Gottesdienst die Riesenportion Glauben habt. Ich wünsche Euch aber den „Senfkorn-Glauben“, den kleinen Glauben an den großen Gott. Und übrigens: Dieser Glaube macht unser Leben schmackhaft und bisweilen auch würzig, so wie guter Senf. Das wünsche ich euch. Und das wünsche ich euch für heute und für alle Tage Eures Lebens.
Den kleinen Glauben an den großen Gott, der unser aller Leben verändert.

Amen

Pfarrer Werner Zupp

 


Predigt zu Matthäus 27, 33-54 am Karfreitag,
den 30. März 2013, Marktkirche Neuwied


Jedes Jahr neu, liebe Gemeinde, zieht mich die Dramatik der Geschehnisse um das Kreuz in seinen Bann, jedes Jahr neu, spüre ich wie die Dynamik dieses Geschehens so unaufhaltbar ist. Da sitzt Jesus noch wenige Stunden zuvor mit seinen Jüngern beim letzten Mahl zusammen. Da verlässt einer die Gemeinschaft und denunziert Jesus bei den Machthabern und dann das lange Warten, das Beten und Flehen im Garten Gethsemane, dass der Kelch an ihm vorübergehen möge und statt mit ihm zu wachen, schlafen seine Jünger. Später kommen die Häscher und das Unheil nimmt seinen Lauf. Verschreckt und ängstlich fliehen die Seinen und die Mühlen des Todes beginnen zu mahlen. In der Hand der Henkersknechte wird Jesus gefoltert und verspottet.

Vom Hosianna am Palmsonntag; liebe Gemeinde, zum „Kreuzige ihn“ sind es nur wenige Schritte gewesen Und so gedemütigt tritt Jesus seinen letzten qualvollen Weg an. Der Evangelist Matthäus berichtet uns davon und er berichtet von den Menschen, die diesen letzten Weg Jesu begleiten, ob mit Sympathie und Unterstützung, ob spottend oder lästernd oder aber auch nur als die gaffende und die gleichgültige Menge. Aber hören wir den Bericht des Matthäus im 27 Kapitel:

33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 52 Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Geht es überhaupt noch tiefer? Und vielleicht ist es ja für uns unfassbar, dass sich der Sohn Gottes einer so tiefen Gottverlassenheit ausgesetzt hat. Matthäus übrigens deutet alles nur in dieser grauenvollen Geschichte an, keine Details und so finden wir keine genaue Beschreibung der Folterszene und der Hinrichtung. Wein wird mit Galle vermischt, ein Würfelspiel um die Habseligkeiten, zwei Verbrecher zur rechten und zur Linken, das Lästern der Umstehenden und ein Spottschild, das seine Königswürde ausweist. Alles wird nur angedeutet und trotzdem, es reicht aus, um deutlich zu machen: tiefer kann man nicht fallen.

Jesus erleidet den schändlichsten Tod aller Tode, den Menschengeist sich ausdenken kann. Lang anhaltende körperliche Qualen, die Schande und Erniedrigung der Nacktheit und die Zurschaustellung als Abschreckung und Belustigung des Volkes. Das Kreuz ein Marterinstrument.
Gibt es einen schrecklicheren Anblick als einen zur Bewegungslosigkeit gezwungenen Körper, der atmet, der hört und der sieht, der Höllenqualen leidet, der sich aber weder vor Schmerzen winden, noch die Fliegen von seiner geschundenen Haut vertreiben kann und der hilflos dem Spott und der Beleidigungen der Umstehenden ausgesetzt ist.
Nein, müsste man antworten. Dieser Zustand, in den Jesus durch Menschenhand gebracht wird, ist die tiefste Tiefe, in die ein Mensch geraten kann. Am Kreuz stirbt der, der vor Gott gerecht ist.
Und auch wenn es so aussieht: Gott hat Jesus nicht geopfert, er hat ihn nicht dem Tod überlassen, sondern er hat sich ihm der von Menschen gefoltert und getötet wurde, gleich gemacht  Am Karfreitag begleitet Gott Jesus in die tiefste Tiefe und holt ihn aus dem Tod auch wieder hervor. Gott geht mit in diese Gottverlassenheit, diesen Gedanken müssen wir uns heute morgen zumuten. Und es ist dies das Aufrüttelnde und Provozierende, dass die Heilsgeschichte Gottes durch diesen tiefen Abgrund hindurch muss, wo Gott selbst die Gottverlassenheit erfährt und mit dem verzweifelten Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen...“ auf den Lippen stirbt.
Von der Allmacht Gottes ist hier übrigens nichts mehr zu sehen, keine Spur von der Hoheit Gottes. Die Herrschaft Gottes scheint zerronnen. Und was bleibt, ist ein ohnmächtiger und geschlagener Gott, mit dem kein Staat zu machen ist. Ein Gott, der um der Menschen willen leidet. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“  und „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“  In dieser Spannung, liebe Gemeinde, bewegt sich die Botschaft des Karfreitags.
Jesus stirbt ungetröstet am Kreuz und es bleibt gleichzeitig die Frage: Wo ist Gott?
Die biblische Antwort auf den Karfreitag lautet und so können wir es auch bei Paulus nachlesen: „Gott ist in Christus!“ Diese Antwort wendet sich damit gegen den fernen, gegen den unberührbaren und ungerührten Gott, der ein blutiges Opfer braucht, um mit der Welt versöhnt zu werden. Die frohe Botschaft meint vielmehr den Gott, der sich in Jesus selbst schlagen lässt. Und wenn Jesus ungetröstet stirbt, dann bleibt auch Gott selbst trostlos. Gott selbst stirbt da am Kreuz und steht sich selbst gegenüber „O große Not, Gott selbst liegt tot. Am Kreuz ist er gestorben und hat dadurch das Himmelreich aus seiner Lieb erworben“, so dichtete es der lutherische Pfarrer Johann Rist in seinem Karfreitagslied „O Traurigkeit, o Herzeleid“.
So ist also Gott, liebe Gemeinde, und so weit geht er, dass er selbst in Not und Tod gerät um Jesu und der Menschen willen, denen er nahe sein will. Die Not Gottes ist eng auf die Not des Menschen bezogen und nur der leidende Gott, kann helfen das Leiden zu mindern. Sicher: Wir Menschen würden wohl gern den starken und mächtigen Gott sehen, den Siegertyp, der durch nichts zu erschüttern ist. Funktioniert doch auch so die Herrschaft der Mächtigen. Die Machtstrukturen der Welt aber funktionieren bei Gott nicht. Die Wahrheit des Karfreitags ist die Macht des Verletzlichen, des „Sich Hingebens und der Liebe“. Martin Luther bejubelte diesen fröhlichen Wechsel „...nur der  sich selbst in Not begebende ohnmächtige Gott kann in der Not helfen, denn dann ist die Not kein gottloser Ort mehr...“ oder wie es bei Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht „Christen und Heiden“ heißt:
Menschen gehen zu Gott in seiner Not finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot.“
Jesus am Kreuz in Todesnot und Gott scheint weit entfernt. Tiefer konnte Jesus gar nicht fallen und doch bleibt gleichzeitig sein unerschütterliches Gottvertrauen: dass Gott ist da, dass er da ist, wo ich ihn in allem Leid und allem Elend  nicht sehe und spüre. Gott ist da, wo ich, wo Menschen  zerbrochen werde. Gott bleibt uns Menschen unter allen Umständen und in aller Not nahe, weil er selbst in tiefste Not geht. Als Jesus stirbt, so berichtet Matthäus, zerreißt der Vorhang des Tempels, die Erde bebt, Felsen zerspringen und Gräber tun sich auf. Für einen Moment verstummt das Getöse, das bislang die ganze Kreuzigungsszene umgeben hat. Und in die Stille des Entsetzens spricht der römische Hauptmann. „Wahrlich dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ Ein Fremder und Heide erkennt und sagt, was viele auch fromme Menschen nicht erkennen konnten oder wollten. Der Henker wird zum Bekenner. Und in ihm deutet sich schon die Gemeinde derer an, die Jesus nachfolgen und nicht verloren werden gehen auf ihrem Weg zu Gott.
Verstehen können wir den Karfreitag nur rückblickend durch Ostern. Die Erkenntnis hatten die Menschen damals noch nicht. Das Zerreißen des Vorhangs beseitigt die Trennung zwischen Mensch und Gott. Die Erde wird in ihren Grundfesten so erschüttert, dass nicht nur Felsen zerspringen, sondern auch Gräber geöffnet werden.
Der Tod verliert seine Macht. Das Kreuz hat die Welt auf den Kopf gestellt und den Zugang zu Gott geöffnet. So bleibt der Karfreitag zwar ein Tag des Trauern und Nachdenkens über Jesu Leiden und Sterben, aber er birgt auch die Hoffnung in sich, dass die radikale Liebe Gottes mitgeht mit hinein in die tiefste Tiefe des Todes in der er auch seinen Sohn nicht verlassen, sondern ihn zu neuem Leben gerufen hat.

Amen

Pfarrer Werner Zupp
 


Predigt zu Jesaja 65, 17-25 am Ewigkeitssonntag
dem 25. November 2012, Marktkirche - Neuwied

„Ach, du liebe Zeit“,
sagt die Frau mit leisem Schreck in der Stimme,
„jetzt hab´ich ja grad richtig gelacht, auch laut…wieder,
das ist…glaub ich, das erste Mal, seit mein Mann…,
also seit der Beerdigung…
und das ist ja doch noch nicht mal lang her… –
Darf ich denn überhaupt schon wieder lachen?“
(…)

Liebe Gemeinde, in einer Situation wie dieser,
bei Gedanken wie den eben formulierten,
ertappen sich vielleicht viele von Ihnen,
die einen geliebten Menschen loslassen mussten,
vielleicht erst kürzlich
und die sie traurig und hilflos,
ohnmächtig und ratlos
an einem offenen Grab standen im vergangenen Jahr.

Häufig sind da ja Momente,
nein: sogar Stunden, Tage, Wochen,
in denen man glaubte, nie mehr,
gar nie mehr so wie früher lachen zu können,
oder gar Augenblicke der Leichtigkeit zu erleben,
in denen alles Schwere verfliegt,
wie Nebel, wenn die Sonne hervorbricht.

Darf ich überhaupt schon wieder lachen?
Um Himmels Willen: Ja!  Du darfst.
Auf diese Frage antwortet mit klarer Stimme,
unmissverständlich, auch der Predigttext für den heutigen Ewigkeitssonntag.

Überraschenderweise redet er nicht vorrangig von der Ewigkeit, dem Himmel, Gottes Reich,
von dem wir doch hoffen und glauben,
dass sie jetzt die Heimat unserer geliebten Verstorbenen ist.

Verblüffend redet unser Bibeltext heute morgen

von dieser unserer Welt,
in der es auch in dieser Sekunde
Zahllose gibt, die das Liebste beklagen:
ein Kind durch eine Totgeburt verlieren,
einen Partner durch jähen Herztod,
einen Unschuldigen durch Krieg und Gewalt,
ein Familienmitglied durch Hunger und Not…

Verblüffend redet der Prophet von dieser unserer Welt -
und er setzt den Erfahrungen der Verzweiflung,

des Todes und des Dunkels
lichtvolle Bilder entgegen: Siehe, spricht, Gott –
Siehe, nicht nur am Anfang und Ende der Bibel,
nein: mitten im Alltag dieser Welt
mit allem abgründigen Leid –
Siehe, ich mache alles neu!

Hören wir auf Worte aus dem III. Teil des Jesajabuches,
die heute zu predigen sind:

Denn, siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.
Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,
und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.
Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
Es sollen keine Kinder mehr da sein,

die nur einige Tage leben
oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen,
sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt,
und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
Sie werden Häuser bauen und bewohnen,
sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen.
Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne
und nicht pflanzen, was ein anderer esse.
Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes,
und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.
Sie sollen nicht umsonst arbeiten
und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen;
denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn,
und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten,
wenn sie noch reden, will ich hören.
((Wolf und Schaf sollen beieinander weiden;
Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind,
aber die Schlange muss Erde fressen.
Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun
auf meinem ganzen heiligen Berge,
spricht der Herr.))


Gott schafft neues Glück, liebe Gemeinde,
wie Balsam auf die Wunden des Lebens sind diese Worte des lebendigen Gottes.
Sie lindern, heilen, beleben, lassen auferstehen
 – seit Jahrtausenden.
Ein Schüler des großen Propheten Jesaja hat sie vor weit, über 2000 Jahren aufgeschrieben.
So kamen sie in die Sammlung dieses besonderen Prophetenbuchs,
das wir heute mit dem Namen „Jesaja“ verbinden.
Kann man diesen enormen Bilderbogen der Hoffnung,
zwischen neuem Himmel und neuer Erde,
und den friedlich miteinander weidenden Tieren,
wie Löwe und Rind, Schaf und Wolf,
überhaupt mit seinem lebensfrohen Glanz erfassen,
hier beim raschen Hören unter der Kanzel?

Machtvoll strömt Lebenslust  aus diesen Worten in unseren Tag.
Während eben im Text der Schriftlesung
Gottes neue Welt am Ende der Zeit beschrieben wird
erfahren wir hier, was Gott jetzt für die Welt will

Was er jetzt schenkt und schafft:
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.

Die Männer, Frauen und Kinder,
die jene Botschaft  damals als erste gesagt bekommen haben, sind uns, gerade Ihnen, liebe Trauernde,
besonders nah.
Auch sie wissen nicht wirklich,
wie das Leben wieder gut werden kann.
Auch sie erleben sich mit den Kräften am Ende.
Auch ihnen erscheint der Alltag wie hinter Schleiern:
Nach Jahren und Jahrzehnten im Exil
darf das Volk endlich zurück in die alte Heimat,
in das „gelobte Land“.
Doch Milch und Honig fließen nicht mehr.
Die Spuren der Zerstörung sind allgegenwärtig.
„Mein Leben liegt in Trümmern“,
so hat es mir ein früh Verwitweter vor wenigen Wochen gesagt. Es fehlt an allem.

So auch damals:

Die Säuglingssterblichkeit ist hoch und die Lebenserwartung gering.
Und auch wenn das Vaterhaus noch steht,
wohnt jetzt ein anderer dort.
Im Weinberg der Eltern sammeln andere die Ernte.
Die Heimkehrer sind nicht willkommen.
Was trägt noch unsere Zukunft?

Denn, siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
So spricht Gott.
Auch wenn rechts und links alles eine andere Sprache spricht,
auch wenn die Bilder des Todes machtvoll erschüttern.
Gott will es anders, und er schafft es anders.
Den müden Israeliten,
die das Gefühl haben, nichts mehr aus eigener Kraft schaffen zu können,
nicht mal so etwas Leichtes wie das Lachen,
verspricht ER: Siehe, ICH mache alles neu!
Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Viele von Ihnen werden sich im vergangenen Jahr so gefühlt haben,
für viele war es an manchen Tagen dunkel,
dunkel wie in der Stunde Null,
für viele war die Zukunft fragwürdig.

Was soll werden ohne meine Frau oder ohne meinen Mann oder ohne mein Kind
Leben inmitten von Trümmern.

Doch die grau-schwarzen Bilder des Todes,
die Bilder von Trauer, Zerstörung, Angst und Not,
überdeckt Gott mit Bildern glücklicher Tage,
die kommen und die alles in sich bergen,
wonach die Sehnsucht brennt.

Über die Bilder von Gewalt und Tod,
von Schmerz und Trauer
legt der Prophet neue Bilder
Bilder neuen Lebens,
Bilder des Glücks und des Friedens,
damit die Seele heilt,
auflebt und lebt.

Ja - wunderschön sind diese Bilder,
mit denen Gott seine Wunder an uns beschreibt.
Am besten wären sie an verdunkelten Tagen,
morgens und abends zu lesen.

Das ist so viel.
Das reicht zum Leben und Überleben,
könnte man denken.
Was braucht es da noch mehr?

Und doch haben wir Christen und Christinnen
sogar noch mehr.
Die neuen Bilder unseres neuen  Lebens sind auch Bilder,
in denen uns Christus begegnet:
Im Menschensohn, Jahrhunderte nach Jesaja geboren.
Der die Hungrigen speist - auf dass alle satt werden.
Der die Kranken liebevoll berührt , Schmerzen vergessen macht.
Der die Kinder in die Mitte stellt und lacht.
Der den Wein trinkt und auf die Frauen hört.
Der hinabsteigt in das Reich des Todes
und der ein Ende setzt, allen Mächten des Todes,
weil er lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gottes Kraft verwandelt das Leben,
wie es einst Jesajas Schüler aufschrieb.
Gottes Kraft verwandelt den Tod.
Das fröhliche, unbeschwerte Lachen,
das aus der Tiefe kommt und hell erklingt,
findet Widerhall in Gottes ewigem Reich.
Oder vielleicht ist es gerade umgekehrt,
dass unser Lachen, das sich gegen die Traurigkeit durchsetzt,
Echo ist der himmlischen Fröhlichkeit ?

Darum: Leben wie ein Baum

Mit diesem Vertrauen
und den bunten Bildern der Hoffnung im Rücken
können wir neu leben lernen.
Für das neue Leben der Kinder Gottes finden wir in unserem Text ein ganz unaufdringliches Bild
Vielleicht haben Sie es überhört. Fast droht es unterzugehen. Und doch heißt es da:
Denn die Tage meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes.
Leben wie ein Baum.
Das ist eine Spur, der ich folgen will.
Sie auch?
Ein Baum beansprucht seinen Platz, aber nicht mehr.
Er will nicht mehr haben als er braucht
und er verbraucht auch nicht mehr als gut tut.

Ein Baum verwurzelt sich fest in der Erde
und streckt seine Zweige weit hinaus in den Himmel.
Ein Baum meistert das Leben: Hitze, Kälte, Sturm und Frost.
Noch bevor im Herbst das letzte Blatt vom Ast sich löst, hat im Baum schon der Frühling begonnen, sind neue Knospen längst angelegt.
Was es heißt, vom Baum zu lernen, hat Dorothee Sölle so beschrieben:

Vom baum lernen
der jeden tag neu
sommers und winters nichts erklärt
niemanden überzeugt
nichts herstellt
einmal werden die bäume
die lehrer sein
das wasser wird trinkbar
und das lob so leise
wie der wind an einem septembermorgen


Ja, ich möchte dieser Spur folgen
und dabei Gott vertrauen, der unterwegs ist,
 Leben schafft, auch in mir und durch mich,
mitten unter uns.

So will ich schließen mit einem Gebet ( nach Lothar Zenetti):
Herr, wie ein Baum, sei vor dir mein Leben,
wie ein Baum sei vor dir mein Gebet.
Gib Wurzeln mir,
die in die Erde reichen,
dass tief ich gründe in den alten Zeiten,
verwurzelt in dem Glauben meiner Mütter und Väter.
Gib mir die Kraft,
zum festen Stamm zu wachsen,
dass aufrecht ich an meinem Platze stehe-
und wanke nicht, auch wenn die Stürme toben.
Gib, dass aus mir sich Äste frei erheben,
oh meine Kinder, Herr, lass sie erstarken
und ihre Zweige strecken in den Himmel.
Gib Zukunft mir und lass die Blätter grünen
Und nach dem Winter Hoffnung neu erblühen,
und wenn es Zeit ist, lass mich Früchte tragen.
Herr, wie ein Baum sei vor dir mein Leben,
wie ein Baum sei vor dir mein Gebet.

Amen.

 


Predigt zu 2. Kor. 12,9 (Jahreslosung) am 31.12.2011
Silvester, Marktkirche – Neuwied


Liebe Gemeinde !

Gut, dass es den heutigen Abend gibt. Gut, dass es Silvester gibt, den letzten Tag im Kalenderjahr, das heute Nacht zu Ende geht.

Um Mitternacht beginnt etwas Neues – ein neues Jahr mit viel Raum für Veränderungen und es liegt vor uns wie offenes und weites Land, das entdeckt und erobert werden will. Gut, dass es diese Einschnitte gibt, die das Leben unterbrechen. Wir brauchen den Rhythmus, der Wochen, Monate und Jahre, der doch erst dadurch entsteht, dass es Unterbrechungen gibt. Sie helfen uns dem Gewohnten nicht verhaftet zu bleiben, sondern sich zu lösen und sich dem Neuem zu öffnen. Es tut also gut, dass das alte Jahr nun zu Ende gehen darf und etwas wachsen und entstehen kann. Ich glaube auch, dass solche Übergange sind wichtig. Sie geben unserem Leben im Auf und Ab im Hin und Her von alt und neu eine Struktur. Ich kann loslassen was war und mich dem Neuen öffnen.

366 Tage liegen nun vor uns, wie ein Buch mit vielen leeren Seiten und nicht wenige Menschen würden gerne wissen, was 2012 bringen wird, Und es sind nicht wenige unter uns, die zumindest mit einem verstohlenen Blick das Horoskop vielleicht in irgendeiner Illustrierten gelesen haben, um zu erfahren, was die Sterne über ihre persönlichen Perspektiven in Sachen Beruf, Gesundheit oder Liebe verraten.
In der Kirche fragen wir nicht nach der Stellung der Sterne. Und ich persönlich habe ohnehin Zweifel, ob sich aus der Position von Himmelskörpern Vorhersagen für die Zukunft machen lassen Stattdessen halte ich mich lieber an ein Bibelwort, das als Losung für das neue Jahr ausgewählt wurde. Es ist ein Satz Christi, den er Paulus zuspricht und er lautet: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

„Meine Kraft  ist in den Schwachen mächtig.“ Dieser knappe Satz soll gleichsam ein Leitstern für das Jahr 2012 sein. Ein Leitstern, der uns den Weg weist und Orientierung gibt. Und vielleicht halten wir es mit der Jahreslosung wie es das Volk Israel mit den Worten der Tora, des heiligen Gesetzes, gehalten hat, getreu der göttlichen Weisung: „Die Worte, die ich dir heute sage, sollst du dir zu Herzen nehmen und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“

Ich kenne Menschen, die notieren sich die Losung vorne in ihren Terminkalender; über und vor allen Termine, die das Jahr bereit hält, steht dann dieser eine Satz. Bei mir zu Hause hängt die Jahreslosung als Karte in einem Bilderrahmen direkt an der Zimmertür des Arbeitszimmers. So gehe ich jeden Tag an ihr vorüber. Manchmal beachte ich sie nicht. Doch es kommt immer wieder vor, dass meine Augen an ihr hängen bleiben und ich einen Moment bei ihr verweile. Und ich dann überlege, was meine augenblicklichen Erlebnisse und Erfahrungen mit diesem Wort zu tun haben und unversehens rückt das ein oder andere Ereignis dann in ein ganz neues Licht.

Nun hängt also das Wort Christi so wieder ein ganzes Jahr da: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“.
Was bedeutet dieser Satz eigentlich, was meint Paulus, wenn er ihn als ein Wort zitiert, das Christus ihm persönlich zugesprochen hat?
Der 2.Korintherbrief ist mit Abstand der persönlichste und leidenschaftlichste Brief, den Paulus geschrieben hat. In jeder Zeile spürt man die innere Erregung des Apostels. Er hat ihn unter Tränen geschrieben und es waren beileibe keine Freudentränen, sondern Tränen der Enttäuschung und des Zorns. Was war los in Korinth?
Paulus sieht sich scharfen und persönlichen Angriffen ausgesetzt: Da sind fremde Missionare in die Gemeinde eingedrungen, die sich als Konkurrenz verstehen und die kein gutes Haar am ihm lassen. In ihren Diffamierungen machen sie vor nichts halt. Er sei kein richtiger Apostel behaupten sie, er sei vielmehr ein schamloser Betrüger. Und seine Berufung sei nur vorgetäuscht und in seinen Briefen nehme er den Mund ziemlich voll. In Wirklichkeit sei er ein Schwächling. Sie selbst hingegen präsentieren sich als das genaue Gegenteil, strotzend vor Selbstbewusstsein, fest im Auftreten und redegewandt. Dazu verfügen sie, so behaupteten sie es jedenfalls, über spirituelle Fähigkeiten, könnten sich je nach Belieben in Ekstase setzen und in Zungen reden. Kein Wunder, dass die Korinther von ihnen zutiefst beeindruckt waren.

Paulus ist über diese Entwicklung bestürzt und er will mit seinem Brief eine passende Antwort geben. So weist er den Vorwurf des Betrugs zurück – aber das Überraschende ist, dass er an einem anderen Punkt seinen Gegnern sogar Recht gibt. Er sei tatsächlich schwach und er habe sich schon oft gewünscht, stärker zu sein, körperlich robuster charismatischer im Auftreten und gewandter im Reden. Er habe darum, wie er schreibt, auch den Herrn Jesus angefleht, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Aber der habe seine Bitte nicht erfüllt, sondern stattdessen zu ihm gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Liebe Gemeinde, ich verstehe dieses Wort Christi so, als wolle er sagen: „Paulus gräme dich nicht. So wie dir, geht es den meisten Menschen. Sie wären gerne tüchtiger und gerne erfolgreicher. Sie leiden an ihren Schwächen, ihren Mängeln und Unzulänglichkeiten Und vielleicht blicken sie neidisch auf diejenigen, die Selbstzweifel scheinbar gar nicht kennen. Aber ich will dir sagen Paulus: Ich liebe dich gerade so, wie du bist. Lass deine Gegner ruhig über dich lachen und herziehen – ich möchte dich als meinen Apostel nicht anders haben. Bei mir musst du kein Superstar sein. Du musst mir nichts beweisen und bei mir musst du dich nicht ständig unter Druck setzen. Gib dich mit dem zufrieden, was du hast und bist. Das genügt. Und noch ein zweites will ich dir sagen: Quäle dich nicht länger mit deinen Sorgen, deinen Ängsten und Schwächen herum. Überlasse sie mir. Vielleicht musst du ja manchmal an deine Grenzen stoßen, damit ich etwas für dich tun kann.

Auf Paulus müssen diese Worte Christi wie eine Befreiung gewirkt haben, eine Befreiung von den strengen Maßstäben, die er an sich selbst angelegt hatte, eine Befreiung von dem Leistungsdruck unter den er sich selbst gesetzt hatte. Eine Befreiung von der eigenen Erwartung, immer und überall Erfolg haben zu müssen In der Tat, Paulus hatte sich angestrengt ohne Rücksicht auf die Grenzen seiner eigenen Belastbarkeit, er war in der Welt herumgereist, um die Botschaft Christi zu verbreiten und hatte am Ende immer noch das Gefühl, nicht genug zu tun und zu leisten.

Liebe Gemeinde, irgendwie klingt das doch eigentümlich vertraut. Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft. Die Konkurrenz ist groß und es gilt das Leistungsprinzip: Ich muss der Welt und auch mir selbst immer wieder auf’s Neue beweisen, welche besonderen Qualitäten ich besitze. Mich treibt die ständige Sorge um, ob ich mit meinen Fähigkeiten wahrgenommen und gewürdigt werde. Und weil schon der Zweitplazierte der erste Verlierer ist, muss ich nicht nur gut sein, sondern besser als alle anderen. Ich muss selbst dort Stärke zeigen, wo gar keine ist. Es kommt auf die richtige Ausstrahlung an, auf die Verpackung sozusagen, auf die Art, wie ich mich präsentiere. Hauptsache die Fassade stimmt.
Es ist ein erbarmungsloses Prinzip, dem viele mehr oder weniger gehorchen und das Menschen auf die Dauer zerstört. Die Auswirkungen treten immer deutlicher zutage Burn-out ist zum Inbegriff geworden für ein Leiden, das immer mehr Menschen betrifft. Es ist ja auch anstrengend, immer super zu sein, es bringt Druck mit sich und führt zu ständiger Verkrampfung, die auf Dauer zermürbt.

Jesus’ Satz, die Jahreslosung ist dagegen ein heilsames Angebot. Ein Angebot, das zwar nicht die Wettbewerbsgesellschaft aufhebt ,aber doch so etwas wie ein Gegengewicht bildet. Auch wenn uns das noch schwer verständlich sein mag: bei Gott gilt kein Leistungsprinzip Gott liebt die Verlierer nicht weniger als die Sieger und die Sünder sind nicht weniger als die Heiligen. Er liebt uns in unseren Schwächen und Stärken. Auch Paulus hat diese Wahrheit erst allmählich lernen müssen. Der auferstandene Christus musste es ihm erst zusprechen und ihn von allem falschen Druck befreien. „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Ich gebe zu, liebe Gemeinde, auch ich muss dass immer wieder neu lernen und mir sagen lassen. Ich muss es immer wieder in allem Alltagsstress und Druck neu begreifen, auch wenn ich scheitere und mir etwas misslingt: dass er mich liebt, auch wenn ich selbst mit mir hart ins Gericht gehe, dass er mich liebt in meinen Ängsten, in meinen Schwächen und Unvollkommenheiten. Dass er mich liebt, weil seine Maßstäbe eben andere sind als die der Welt und als die meinen.
Wenn ich mir das bewusst mache, dann liegt darin etwas Tröstliches und Befreiendes. Es macht mich heiter und gelassen auch im Blick auf das neue Jahr. Da wird es dann so sein, wie immer: Manches wird mir gelingen, manches nicht. Es wird Erfolge geben, aber auch Niederlagen. Aber das ist dann gar nicht so wichtig, wichtig ist nur das ich den Zuspruch Gottes nicht vergesse: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“.

Amen.

Pfarrer Werner Zupp

 


Predigt zu Jesaja 9, 1-6 zum Heiligen Abend
am 24.12.2011 Marktkirche Neuwied


Liebe Gemeinde!

Endlich ist er da, der Abend, auf den wir alle schon so lange hin gelebt haben. Und obwohl uns schon seit September Spekulatius und Christstollen in den Geschäften gelockt haben, sind viele von uns bewusst und gern standhaft geblieben, denn „Advent ist im Dezember“. Vorfreude ist ja schließlich die schönste Freude. Und jetzt kann es richtig losgehen. Der Tannenbaum ist geschmückt und überhaupt ist alles zuhause vorbereitet, so dass man nach dem Gottesdienst mit dem persönlichen Heiligabendritual anfangen kann: Da werden gleich die Kerzen entzündet, vielleicht wird gesungen, da werden Geschenke überreicht, Weihnachtsbriefe vorgelesen, um beim Essen dann anschließend zusammen zu sitzen und zu reden. Christ, der Retter ist da, das macht wirklich Freude.

Aber, liebe Gemeinde; unser Predigttext  heute Abend redet ganz anders und wenig von Wohlfühlstimmung am Heiligen Abend, und eigentlich passt er so gar nicht in das Bild hinein, was wir uns vielleicht für diesen Abend alle wünschen

Jesaja 9, 1-9:
1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;
6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.


„Das Volk das im Finsteren wandelt“.  So beginnt der heilige Abend und ich muss erst einmal innehalten und kann nicht gleich zur Festtagsstimmung übergehen, weil ich über diesen Worten schon ins Nachdenken gerate. „Das Volk ,das im Finsteren wandelt..“. Haben wir nicht in diesem Jahr viele Völker gesehen, die im Finsteren gewandelt sind? In Tunesien, in Ägypten und Libyen, Völker, die sich ein wenig Licht erkämpft haben und solche, die immer noch dabei sind, die Finsternis zu verlassen und die dafür einen hohen Preis gezahlt haben. Und ist nicht auch eine Finsternis über Somalia, Kenia und Äthiopien gekommen, wo es um das nackte Überleben von Frauen, Männern und Kindern geht und wo der Hunger tausende von Menschen in die Flucht treibt und der Rest der Welt daneben steht und  zusieht, weil die Hilfe nicht ankommt. Oder denken wir nur an die Bilder aus Japan, wo wir unermessliches Leid durch Erdbeben und Tsunami und durch die Atomkatastrophe gesehen haben.

Aber vielleicht müssen wir gar nicht so weit weggehen, wenn wir die Völker suchen, in denen es dunkel geworden ist: Massenproteste einer verlorenen Generation in Griechenland und Spanien, Jugendkrawalle in England und über allem der drohende Finanzkollaps einzelner Volkswirtschaften, die Dominosteinen gleich das ganze Wirtschaftssystem des Euroraums zum Einsturz bringen können.  „Das Volk das im Finsteren wandelt...“,  oder sitzen wir vielleicht gerade selbst in der Finsternis und kämpfen gegen die Dunkelheit in unserem Leben. Manchmal braucht es ja gar nicht viel, um in ein Loch zu fallen, aus dem man alleine nur schwer herauskommt. Andere haben vielleicht ein trauriges Herz, weil eine Liebe zerbrochen ist oder weil sie mit einer schlimmen Nachricht fertig werden müssen. und wieder anderen wurde übel mitgespielt weil sie in der Schule oder im Beruf gemobbt wurden.

Völker, die in der Finsternis wandeln und Menschen, die nach dem Licht Ausschau halten. Wie passt das zusammen mit Weihnachten, das das Fest des Friedens, des Lichtes und der Liebe ist? Wie passt das mit dem Heiligen Abend zusammen, wo wir alle, hier, heute und jetzt auf Harmonie und auf Freude eingestellt sind? Hören wir noch einmal den Propheten Jesaja, der auch davon zu berichten weiß, dass es da ein Licht und eine Hoffnung gibt:
„Über denen, die wandeln im finsteren Lande scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst die Freude groß. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich in der Ernte freut, wie man fröhlich ist,  wenn man  Beute austeilt....“

Das Licht kommt zu denen, die im Finsteren wandeln. So lässt sich die Botschaft Jesajas zusammen fassen. Das Licht scheint in die Dunkelheit. Was dieses Licht für das Volk Israel damals war, wird nur angedeutet. Die Geschichte des Gottesvolkes erinnert an die Unterdrückung durch die assyrische Großmacht unter denen das Volk schwer gelitten hat. Mit seiner Botschaft vom Licht tritt Jesaja diesen Erfahrungen entgegen. Von Gott, so sagt der Prophet, kommt Rettung, von Gott kommt Befreiung – und das ruft Freude hervor. Freude, die so intensiv ist, das man sie am besten mit Bildern beschreiben kann. Es ist Freude, wie beim Einbringen der Ernte, Freude, wie beim Verteilen all dessen, was einem in die Hände gefallen ist. Und auch wenn das für uns keine passende Bilder mehr sind, die Menschen die Jesaja damals zuhörten, verstanden das. Ihre  Freude war groß und sie konnten aufatmen, weil das Joch der Unterdrückung von ihnen genommen war, hatten sie doch bis dahin das Gefühl gehabt, dass Gott nicht da sei und sie verlassen habe.

Mag sein dass es vielen Menschen und auch vielen unter uns im vergangenen Jahr ähnlich ergangen ist. So manche Finsternis haben Menschen in den letzen zwölf Monaten durchschritten. Wir haben wieder einmal unermessliches Leid auch in diesem Jahr gesehen. Vielleicht haben wir um Menschen gebangt und für sie gebetet und was da geschah, hat vielleicht auch so manchen an Gott zweifeln lassen.
Aber ich habe das feste Vertrauen, liebe Gemeinde, dass sich Gott nicht abwendet, sondern im Leiden mitgeht, dass er hilft und rettet, so wie es Jesaja ankündigt: „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Und das Volk das im Finsteren wandelt sieht ein großes Licht und über denen die da wohnen im finsteren Land scheint es hell....“

Liebe Gemeinde, das ist kein oberflächlicher Werbeslogan, der etwas anpreist, was man eigentlich gar nicht braucht. Das sind Hoffnungsworte, die getränkt sind mit Lebenserfahrung und Glaubenserfahrung. So wie Gott ist, kann er uns nicht im Stich lassen. Das passt nicht zu Gott, der seine Menschen liebt. Ganz im Gegenteil, er wird einen Retter senden, einen, den es noch nie so gab. Und mit ihm wird ein Licht in unsere Dunkelheit treten, wie man vorher noch keines hatte. An diesem Retter wird man sehen, wie die Welt heil werden und umfassender Friede kommen wird. Das merkt man schon allein daran, wie er heißt: „Und er wird heißen Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater,  Friede-Fürst.“
Diese Namen des neuen Retters sind Programm. Sie zeigen zum einen seine enge Beziehung zu Gott, aber auch seine Beziehung zu den Menschen. Er ist ganz nah bei Gott, aber auch ganz nah bei den Menschen, damit sie in Heil und Frieden leben können. Seine Namen zeigen, wie Gott selbst in der Geschichte wirken kann, an unseren Lebenserfahrungen teilhaben, uns begleiten und zum Guten leiten will.

Und was wird nun, werden sie fragen. Das eine ist klar, liebe Gemeinde!. Es geht an Weihnachten nicht darum, die Sorgen unter den Teppich zu kehren. Es geht nicht darum, Probleme zu ignorieren oder zu überspielen und ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, um das Fest nicht zu verderben. Weihnachten ist nicht das Fest, das wir retten sollen. Weihnachten feiern wir, damit wir gerettet werden.
Weihnachten kann eine Chance sein, im Horizont der Liebe offen über die Sorgen zu sprechen und sich den Menschen anzuvertrauen, mit denen sie sich leichter tragen lassen. Genau darum geht es jetzt: um Befreiung von Sorge und Zukunftsangst, um Licht statt finsteren Aussichten, um Hoffnungsbilder statt Schreckensszenarien, um Friedensbotschaften statt Kriegsansagen. Und das macht Gott möglich. Das unterdrückende Joch soll durch die Geburt des Gottessohnes von unseren Schultern genommen werden. Weihnachten ist Befreiung und Aufatmen. Weihnachten feiern wir, dass wir gerettet werden
Der Retter und Friedefürst will seine Herrschaft antreten. Und das ist mehr als nur Kerzenscheinatmosphäre. Gottes Sohn bringt den Schalom, den wirklichen Frieden, einen Frieden, der alle Lebensbereiche betrifft, einen nachhaltigen und dauerhaften Frieden.
Und diese Verheißung des Friedens traut und mutet uns zu, Versöhnung zu stiften, Gerechtigkeit zu üben und Konflikte anders zu lösen als mit Gewalt.

Das hören und sehen wir jetzt  auch zu Weihnachten. Da gibt es Menschen, die sich jetzt in diesen Tagen auf den Weg machen und sich engagieren und an einander Anteil nehmen. Sowie die Hirten auf dem Feld nicht einfach still in ihrem Alltag bleiben können, sondern sich im Glauben in Bewegung setzen, so setzt die frohe Botschaft auch heute Menschen in Bewegung. Gerade in dieser Zeit wird vielen Menschen klar, dass der Friede und das Licht, das kommen soll, auf unsere Antwort wartet. Wie zum Beispiel jetzt vor Weihnachten bei der Neuwieder Tafel, wo sich viele Ehrenamtliche darum bemühen, den hunderten von bedürftigen Menschen, deren Geld nicht für die Versorgung der Familie ausreicht, Lebensmittel auszuteilen, aber gerade auch an solchen Tagen mit ihnen auch über ihre Sorgen zu sprechen und für sie da zu sein. Denn auch die Seele braucht Nahrung.
Oder wie zum Beispiel die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die heute Abend eine Weihnachtsfeier für die Alleinstehenden und einsamen Menschen organisieren und einfach für sie da sind. Da ist Gottes Sohn mitten unter uns. Da ist der Friede da, das ist das Licht da.

Wer sich so auf Gott einlässt, wer von sich selbst absieht und sich auf Gott ausrichtet, der empfängt eine Erfüllung, die die Welt nicht geben kann. Nur der, der sich tief über die Krippe beugt, der empfängt das Licht, das von diesem Kind ausgeht. Und der spürt dann auch, dass sein Licht heller ist als die eigenen Dunkelheiten, seine Liebe stärker als alle drohende Konflikte der spürt und erlebt: Über denen, die wohnen im finsteren Land scheint es wirklich hell. 

Amen.

Pfarrer Werner Zupp

 


Predigt zu Joh 21,1-14 am Sonntag Quasimodogeniti 2011

Marktkirche Neuwied

Liebe Gemeinde,
die eben gehörte Erzählung ist voll aus unserem Leben gegriffen. Da hatte man ein Erlebnis, von dem man der Meinung war, dass es das Leben von nun an bestimmt. Ein Erlebnis, dass einen immer begleitet. Dann passiert das Schlimmste. Die Zeit vergeht. Die Erinnerung verblasst und ein zäher Schleier des Alltags umgibt die einst so strahlende Energiequelle.

Ein Beispiel:
Sie machen einen Wellnessurlaub. Sie lernen viel über Ernährung und Bewegung und machen das auch alles. Sie fühlen sich super, mindestens 10, ach 20 Jahre jünger und wissen genau: Das mache ich zu Hause auch so. Ist ja klar, weil alles andere wäre tödlich. Die erste Woche klappt das auch ganz gut, allerdings holt der Alltag sie immer mehr ein. Der Arbeitsstress nimmt zu. Die sportliche Betätigung nimmt ab. Und der Tatort am Sonntag Abend wird nicht mehr vom Knacken frischer Karotten und Selleriestangen begleitet, sondern vom Rascheln der Chipstüte.


Nicht ganz so, aber sehr ähnlich ergeht es den Jüngern. Die sitzen, nicht in einem Wohnzimmer vor dem Fernseher, dem 'Lagerfeuer der Moderne', sondern vor ihren verblassten Erinnerungen.
Der Elan, die Begeisterung sind weg. Das Staunen über Jesu Taten, die Heilungen und Dämonenaustreibungen, die Verwunderung über seine Worte, das Hosianna beim Einzug in Jerusalem, Jesu Sieg über den Tod, selbst sein Erscheinen vor ihnen, all das ist Geschichte. Ihre Geschichte aber muss weiter gehen. Ihr Leben muss weitergehen. Darum gehen sie fischen.
Und sie fangen nichts. Zur Leere ihrer Motivation gesellt sich die Leere ihrer Mägen. Dann steht auf einmal ein Fremder am Ufer und spricht sie an. Und sie erkennen ihn nicht. Das ist schon erstaunlich, da der Fremde, Jesus, erkannt werden will.

Denn er, der Fremde am Ufer, spricht sie mit „Kinder“ an.
Eine Anrede, die einem Fremden nicht zusteht.

Er, der Fremde am Ufer, sorgt sich um ihr leibliches Wohl: „Habt ihr nichts zu essen?“
Eine Sorge, die einen Fremden nicht anrührt.

Er, der Fremde am Ufer, gibt ihnen den entscheidenden, aber fischfangtechnisch idiotischen Tipp, die Netze bei Tageslicht, knappe 90m vor dem Ufer ins Wasser zu werfen.
Ein Ratschlag, der nur durch sein wunderhaftes Gelingen berechtigt ist.

Die Trägheit ihres Alltages scheint sich auf ihre Sicht ausgewirkt zu haben. Die Leere ihrer Mägen bestimmt ihre Wahrnehmung. Und ihre Wahrnehmung ist von der nackten Enttäuschung ihrer leeren Netze geprägt. Wie viele von uns sind auch die Jünger defizitorientiert. Sie sehen deutlich was ihnen fehlt, erkennen aber nicht, was sie schon haben.

Aber dann passiert das Wunderbare. Ich meine nicht den netzfüllenden Fischzug, sondern die Worte des Lieblingsjüngers. Sein Bekenntnis erweckt die Jünger zu neuem Leben. Er bekennt: „Es ist der Herr!“ Der Lieblingsjünger sagt nicht, was der fehlenden Gewissheit der Jünger bis dahin auch entsprechen könnte: „Hör' mal Petrus, ich glaube, es könnte der Herr sein.“ Oder: „Vielleicht, also möglicherweise, ich meine die Chancen stehen gut, dass es der Herr ist.“, Nein, der Lieblingsjünger ist sich sicher und sagt die entscheidenden vier Worte:
Es ist der Herr.

Diese Worte lassen die Enttäuschung der leeren Netze vergessen. Jetzt kommen die Jünger in Wallung. Petrus springt ein wenig 'spontihaft' ins Wasser und schwimmt zu Jesus. Die anderen schleppen das übervolle Netz zum Landeplatz. Die Worte des Lieblingsjüngers haben besondere Sprengkraft. Wie ein riesiger Knoten im Taschentuch, erinnern sie an die wunderbaren Erlebnisse, die die Jünger mit Jesus hatten. Plötzlich ist alles wieder da: die Taten, die Wunder, das Hosianna, die Auferstehung des Herrn.
Diese vier Worte sind die Frohe Botschaft in nuce. Aus ihnen entfaltet sich alle Begeisterung, aller Elan der folgenden Verse.

Liebe Gemeinde,
spätestens an dieser Stelle nimmt uns der Evangelist mit ins Boot und beschreibt nicht unwesentliche Aspekte unseres Gemeinde- und Privatlebens.

Ein Beispiel:
Vor kurzem bin ich in Köln Widdersdorf -gedankenverloren, um mich selbst kreisend- durch einen wunderschönen Sonnenuntergang gefahren. Mit Industriegebäuden im Hintergrund eines ewig langen Feldes. Die Sonne glutrot darüber, bedeckt nur von einer Wolke die einen skurrilen Schatten warf und an ihren Grenzen silberweiß funkelte. Dieser Sonnenuntergang wäre fast an mir vorbei gegangen, obwohl ich ihn sah, wenn nicht meine Mitfahrerin zu mir gesagt hätte: „Ey, schau mal, der Sonnen-untergang!“ Erst diese Worte, nicht der Glanz der Abendsonne, rissen mich aus mir selbst. Diese Worte rissen mich aus meinen um mich kreisenden Gedanken. Nun genoss ich die Schönheit der Abendsonne und ihre Strahlen erhellten mein Gemüt.

Liebe Gemeinde,
darauf kommt es an. Dass Jesus für uns da ist, steht außer Frage. Er steht am Strand und wartet auf uns, wie die Sonne anbot mein Gemüt durch die Schönheit ihres täglichen Abgangs zu erhellen. Nur scheint das nicht zu reichen. Denn unsere Tristesse ist oft genug so groß, dass wir uns alleine nicht aus ihr befreien können. Dazu brauchen wir das Bekenntnis unserer Mitchristinnen und sie das unsere. Das lebendige Bekenntnis öffnet unsere Augen, stärkt unsere verzagten Herzen. Das lebendige Bekenntnis anderer nimmt uns die Kraftlosigkeit und die Angst.

Der heutige Sonntag Quasimodogeniti hat genau das zum Thema:
Quasimodogeniti, zu deutsch: „Wie die neugeborenen Kinder“ lechzen wir nach der vernünftigen, lauteren Milch; so heißt es im 1. Petrusbrief.
Diese Milch ist das laute, das mitreißende Bekenntnis zum Christus. Das Bekenntnis zu seinem Leben, Sterben und seiner Auferstehung.

Liebe Gemeinde,
wie laut, wie ansteckend ist unser Bekenntnis zum Christus?
Wie hell leuchtet das Osterbekenntnis „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ nur eine Woche nach Ostern in uns? Hat es noch die Leuchtkraft eines Flutlichtes oder gleicht es einem glimmenden Docht?
Kann es sein, dass die Trägheit unserer Kirche, der zunehmende Bedeutungsverlust, die sinkenden Mitgliederzahlen, nicht zuletzt an unserem immer leiseren Bekennen liegt?
Kann es sein, dass wir uns immer mehr in den Alltag sinkender Kirchensteuereinnahmen verlieren und daraus unsere Geschichte entfalten?
Verhallt unser Bekenntnis zum Grund unserer Gemeinschaft, dem Christus, in der gähnenden Leere unserer Kassen?

Liebe Marktkirchengemeinde,
unser Name ist Programm. Unsere Kirche steht in der Mitte der Stadt. Sie ist ein aus Holz und Stein gebautes Bekenntnis zu Christus. Sie zeugt von Licht und Schatten unserer Gemeinde gleichermaßen:
Zum einen zeugt sie von der Tristesse klammer Kassen, die sich in einer defekten Heizung, einer restaurationsbedürftigen Orgel und abbröckelndem Putz über der Kanzel spiegelt.
Zum anderen zeugt sie anderen aber von lebendigem Gemeindeleben: Besuchsdienste für Jubilarinnen und Krankenhäuser, eine aktive Frauenhilfe, eine selbstorganisierte Altentagesstätte, Kindergottesdienste, Konzerte, Ausstellungen und vieles mehr. Vieles von dem eben genannten geschieht ehrenamtlich. Vieles ist Frucht ihres Bekennens, aufgrund dessen viele Menschen in Bewegung kommen.

Liebe Gemeinde,
unser Bekenntnis zu Jesus schafft keine neuen Realitäten, sondern vergewissert uns der Tatsache, dass wir in dieser Welt nicht alleine sind. Es entfacht unseren Glauben, wie frischer Sauerstoff ein erlischendes Feuer.
Die Grundlage allen Bekennens wird auch im Text immer wieder genannt. Jesus steht seit dem Morgen am Strand und wartet auf die Jünger. Er spricht die Jünger und uns an. Er wirkt das Wunder. Und zuletzt: als die Jünger zum Strand kommen ist alles bereit, Brot und Fisch liegen auf dem Kohlenofen. Jesu Sorge um uns ist der Grund auf dem wir bekennen.

Liebe Gemeinde,
das Bekenntnis zum auferstandenen Herrn tröstet uns in einer trostlosen Welt.
Es löst unsere Erstarrung.
Es setzt uns immer wieder neu in Bewegung.
Es erinnert uns des immer schon gedeckten Tisches im Angesicht des Auferstandenen.

Darum, liebe Marktkirchengemeinde,
Es ist der Herr!
Amen

Vikar Patrique A. Friesenkothen

 


Predigt zu Mt 28,1-10 am Ostersonntag 2011
Marktkirche Neuwied

Frohe Ostern liebe Gemeinde,
der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!
Gelobt sei der Herr!

Und wie der Herr auferstanden ist! Gott erweckt seinen Sohn, wie es sich gebührt. Mit ordentlich TamTam und Kawumm. Erdbeben, Engel, die blitzmäßig vom Himmel fahren, Soldaten die wie tot umfallen. Das erinnert an die alten Zeiten, als Gott in Wolkensäulen des Tags und als Feuersäule des Nachts die IsraelitInnen durch die Wüste führt und sich dann als Gewitterwolke bebend auf dem Sinai niederlässt.

Oder als Gott aus der Gewitterwolke mit Hiob sprach.
Oder als er lautstark in den Tempel zu Jerusalem einzieht.
Unser Gott weiß, wie man sich Aufmerksamkeit verschafft.

Gott antwortet hier lautstark und nachhaltig auf das Leiden und Sterben Jesu. Er antwortet auf der Jüngerinnen und unsere Sprachlosigkeit angesichts des Todes Jesu. Gott antwortet auf eine Art die keine Fragen zulässt. Gott haut auf den Tisch! Da gibt es kein wenn und kein aber: „Jesus ist auferstanden! Das ist ein Fakt!“ Das ist der Grundtenor, der cantus firmus, der Geschichte. Gott schafft eine neue ewige Wirklichkeit, jenseits unserer Vorstellungen.

Doch bevor ich auf diesen entscheidenden Aspekt der Erzählung eingehe, bin ich ihnen einen kleinen Exkurs zu unserer Zeitgeschichte schuldig.

Liebe Gemeinde,
wenn wir dieser Tage von Erdbeben sprechen kommen wir nicht umhin an Japan und unsere Katastrophe zu denken. Ich sage unsere Katastrophe, weil sie immer mehr zu einer weltweiten Katastrophe wird. Erdbeben und Tsunami allein machen sprachlos und eigentlich kann es nicht schlimmer kommen. Bis zu diesem Punkt sind wir fassungslos und klagen mit unseren Geschwistern in Japan und fragen: „Unser Gott, warum hast Du uns verlassen!“ Aber dazu fand die Weltgemeinschaft keine Zeit.
Denn es blieb keine Zeit zu weinen, zu klagen, zu trauern vielleicht sogar Trost zu finden, denn ein noch bedrohlicheres Szenario folgt auf dem Fuße. Ein Super GAU!
Nun ist nicht Gott anzuklagen, sondern die, welche bis zum Schluss meinten Atomkraft sei eine super Sache! Atomkraft sei sogar super für die Umwelt, denn Atomkraft spart CO2-Emissionen. Das das alles Makulatur ist, weil die Risiken und Nebenwirkungen auf keinen Beipackzettel passen, ist heute lange bekannt.
Eine Frage stellt sich lautstark: Warum musste es so weit kommen? Hat Tschernobyl nicht gereicht?Und all die anderen Zwischenfälle, waren die kein Indiz für die Gefahr, die brennend heiß von diesen Dingern ausgeht?
Hätte man nicht schon viel eher energietechnisch umdenken müssen? Langsam aber sicher ändert sich die öffentliche Meinung und kommt auch bei denen an, die bis vor kurzem noch oben angesprochene dumme Thesen vertraten.

Und was sagt das über uns?
Der Mensch scheint erst den Ernst der Lage zu erkennen, wenn er mit beiden Füßen am Abgrund steht. Ich erinnere an die Haltung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Da waren sich fast alle einig, dass wir „Nie wieder Krieg“ wollten. Die deutsche Hand möge verdorren, die je wieder ein Gewehr anfasst, sagte der spätere Verteidigungsminister. Und heute verteidigen wir unsere Freiheit und unsere wirtschaftlichen Interessen am Hindukusch und vor der Küste Somalias. Wahrheit hat ein Verfallsdatum von 50 Jahren und weniger.

Liebe Gemeinde,
nun werden sie sich zu recht fragen, was hat das mit dem Predigttext zu tun? Das Erdbeben in Jerusalem war gottgewirkt. Die Katastrophe in Japan ist zunächst einmal eine Naturkatastrophe. Es scheint mir nicht einsichtig, den Gott des Lebens dafür verantwortlich zu machen.
Dennoch, das Leid, welches Japan und uns erschüttert, können wir vor Gott bringen. Er trägt das Leid, welches wir nicht tragen können, weil es uns zerrisse.
Wir dürfen Gott anklagen und unserer Verzweiflung Luft machen, wie es die Psalmbeter taten und wie es Jesus im Garten Gethsemane und selbst noch am Kreuz tat. In ihr Klagen dürfen wir einklingen und auf Trost hoffen.
Die Verantwortung über den SuperGau müssen wir an AKW-Befürwortende, Profitgierige und letztlich auch uns selbst stellen, denn Strom soll zwar sauber sein, aber zunächst einmal billig. Mit alledem hat Gott meines Erachtens nichts zu schaffen. Der SuperGAU ist eine von Menschenhand gemachte Katastrophe und wir können nur hoffen, dass wir wirklich nachhaltig etwas dazu gelernt haben. Und wir nicht in wenigen Monaten und Jahren, wenn Fukushima genauso aus unserem Blick verschwunden ist wie die Bohrinsel Deep Water Horizon im Golf von Mexico, wieder vor einem Scherbenhaufen stehen und einfach so weitermachen wie bisher.

Liebe Gemeinde,
ein weiteres Motiv durchzieht die Erzählung vom leeren Grab und erinnert an unsere Situation. Furcht und Angst! Fukushima ruft bei uns Furcht und Angst hervor. Wir ängstigen uns vor uns selbst, vor des Menschen Können und seinen unvorhersehbaren Folgen. Wir fürchten uns vor unserem eigenen Verstand, vor unseren Köpfen. Wir fürchten uns vor unserem Wissen.

Auch die Jüngerinnen erschrecken, sie fürchten sich angesichts des leeren Grabes. Ihre Furcht ist aber eine ganz andere.
Sie fürchten sich vor dem Unverstandenen: Das ein Menscht tot war und dann wieder lebt, ist heute wie damals ein faszinierendes, ein unglaubliches, Ereignis. Ein Ereignis, dass so gewaltig ist, dass es Furcht, besser, Ehrfurcht hervorruft, hervorrufen muss.

Aber, die Furcht der Jüngerinnen angesichts des leeren Grabes, geht Hand in Hand mit der Freude über das Geschehen. So heißt es: „Sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude.“ Gott schafft Leben, wo vorher Tod war. der Engel sagt: Seht, da hat er gelegen! Da ist der Ort des Todes und der ist leer. Der Tod ist weg. Tod, wo ist dein Stachel?
Dieser lautstarke Einbruch göttlichen Wirkens in unsere Wirklichkeit lässt uns hoffen. Sie ängstigt uns aber auch, weil uns rationale Gewissheit fehlt. Wir sind gewohnt Gewissheit über Verstehen zu erlangen. Das ist angesichts des leeren Grabes nicht möglich. Wir werden es rational nicht erklären können. Die Auferstehung passt nicht in unsere Köpfe, da ist auch nicht ihr Platz, sondern sie gehört in unsere Herzen.

Das Herz ist der Raum, der Freude, hier kann sie sich entfalten. Im Herzen kann die Auferstehungsfreude Trost angesichts des Leides dieser Welt wirken, nicht im Kopf. Wir leben immer in dieser Spannung zwischen Kopf und Herz, zwischen Verstehen und Vertrauen, zwischen Wissen und Staunen. Diese Spannung zwischen Furcht und Freude werden wir in diesem Leben nicht los. Diese Spannung müssen wir aushalten. Und auch die Jüngerinnen verlassen das Grab in dieser Spannung. Als sie dann aber dem Auferstandenen begegnen, ist die Angst des Kopfes vergessen und allein große Freude breitet sich in ihren Herzen aus. In diesem Moment siegt die Gewissheit des Herzens über die Fragen des Verstandes. 

Liebe Gemeinde,

der Blick in das Licht der Osterkerze erinnert uns an die große Freude der Jüngerinnen, an ihre Gewissheit, und ist uns deshalb Trost, vertreibt unsere Angst. Und auch das Abendmahl, welches wir gleich gemeinsam feiern, erinnert uns an die Liebestat Gottes und daran, dass wir im Leben und Sterben nicht alleine sind.
Beides, Abendmahl und Osterlicht, im Einklang mit der Erzählung vom Auferstanden sind unser Halt im Leben und im Sterben. Sie sind der Halt, den wir brauche, da wir immer in der Spannung zwischen Kopf und Herz leben, zwischen Furcht und großer Freude.

Darum ist es wichtig die Erinnerung an die Osterfreude alljährlich zu erfrischen. Diese Erfrischung, die Erinnerung an Ostern feiern wir nun schon seit knapp 2000 Jahren. Wir feiern mit allen Menschen dieser und er kommenden Welt, mit den Lebenden und den Toten.

Denn Gottes Wahrheit hat kein Verfallsdatum, sie währt ewig.

Darum:
Christ ist erstanden
Halleluja
Amen

 

Vikar Patrique A. Friesenkothen


Predigt zu Mk 14,3-9 zum Sonntag Palmarum
am 17. April 2011, Marktkirche Neuwied

Liebe Gemeinde
Letztens hatte ich eine wunderschöne Postkarte in der Hand. Auf ihr ist eine Landschaft am See abgebildet mit Büschen, dem Uferrand, mit Gräsern, Steinen und Sand Der See liegt völlig ruhig da. Und seine Oberfläche ist wie ein Spiegel. So das die Postkarte zweigeteilt ist: oben die Wirklichkeit und unten das Spiegelbild im See. Oder ist es umgekehrt? Auf dieser Karte ist es kaum zu entscheiden.

So ähnlich geht es mir auch mit dem Predigttext für den heutigen Palmsonntag: auch da denke ich gibt es mindestens zwei Ebenen in dieser Geschichte von der Salbung in Bethanien, zwei Ebenen, die zusammen gehören und doch verschieden sind – also so wie Bild und Spiegelung auf der Karte.

Eine Ebene, die ich in dieser Geschichte wahrnehme und die mich anrührt, ist die Liebe dieser Frau zu Jesus, es ist eine ganz besondere Geschichte, es ist eine Geschichte von Zärtlichkeit und von der Kraft der Liebe, eine Geschichte von Hingabe und Verschwendung. Und alles wird eigentlich nur angedeutet. Auch die handelnde Frau selbst bleibt im Hintergrund. Wir erfahren wenig über sie, über ihr Alter oder Aussehen, über ihre Lebensverhältnisse. Und selbst ihre Sorgen und Hoffnungen bleiben stumm und namenlos.

Das Johannesevangelium übrigens vermutet, es sei Maria aus Bethanien, die Schwester des Lazarus und Lukas erzählt die verschwenderische Frau mit dem Salböl sei eine Sünderin, vielleicht sogar eine Prostituierte.

Mir ist das eigentlich nicht wichtig. Was mich anrührt an dieser Geschichte ist, was diese namenlose, schweigende und liebende Frau in unserer Geschichte fühlt, was sie empfindet und vor allem was sie tut. Ihre ganze menschliche Liebe bringt sie in einer Geste voller Zärtlichkeit zum Ausdruck – so wie alle Liebenden nach Gesten suchen. Sie sucht die Nähe und die Berührung und nur das eine ist ihr jetzt wichtig in diesem winzigen Moment der Welt- und Heilsgeschichte, die Liebe die den anderen sucht und findet.

Und weil nur die Liebe in diesem Moment zählt, darum kann diese Frau auch alle Spielregeln altorientalischer Lebens-weise völlig ausblenden, die es untersagen, dass eine Frau die Mahlzeit der Männer stört. Weil nur die Liebe zählt, darum fragt sie gar nicht danach, ob es sich schickt ob es erlaubt und vernünftig ist, was sie tut. Sondern sie gibt hin, was sie hat, sie verschenkt und verschwendet, was ihr selbst lieb und teuer ist

Ein kostbares Salböl hat sie mitgebracht, einen Luxusartikel aus dem fernen Indien, und sie misst nicht etwa sparsam und vernünftig ein paar Tropfen dieser Kostbarkeit ab, sondern leert verschwenderisch das ganze Gefäß bis zum letzten Rest. Alles oder nichts, ganz oder gar nicht, jetzt oder nie.

Es ist schon ungewöhnlich, was sie tut, die namenlose Frau in unserer Geschichte. Es ist vielleicht sogar ein bisschen verrückt, weil die Liebe Menschen eben manchmal, vielleicht viel zu selten, dazu bringt Ungewohntes zu tun und den Alltag und die Konventionen zu verlassen – wenigstens für einen kurzen Moment. Kennen wir überhaupt noch die unvernünftige Logik der Liebe, Dinge zu tun die der nüchternen Betrachtung anderer nicht standhalten können und wo es keine Kosten - Nutzenrechnung gibt?

Aber schnell sind wir dann meistens schon bei den Einwänden: Markus erzählt. Einige wurden unwillig und fuhren die Frau an „Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen und das Geld den Armen geben können.“ Aus ihnen spricht nicht nur der gesunde Menschenverstand sondern auch die Bereitschaft zur Verantwortung gegenüber dem Nächsten. Nicht umsonst sind die Männer am Tisch in die Schule Jesu gegangen und er selbst hat es ihnen ja vorgelebt, was es heißt, das Gesicht Gottes im Geringsten unter den Menschen wiederzuerkennen. Sie haben also Recht, gerade wir als Gemeinde Jesu dürfen so nicht handeln. Und Jesus bestätigt sie auch noch, wenn er sagt: Ihr habt allezeit Arme bei euch, wenn ihr wollt könnt ihr ihnen Gutes tun.“ Das bleibt also wahr und es ist richtig.

Aber dann in demselben Moment gibt Jesus gegen alle berechtigten Argumente auch der Frau mit ihrer ungewöhn- lichen Hingabe Recht. Er lässt die Zärtlichkeit der Berührung zu und schüttelt die Frau nicht ab.

Und schließlich macht er sich gar zu ihrem Anwalt, weil er die Unbedingtheit ihrer Liebe spürt: „Was betrübt ihr sie?“, sagt er, „Lasst sie in Frieden. Sie hat getan was sie konnte.“

Ein tiefes Verstehen liegt in diesen Worten, ein Wiedererkennen und ein Anerkennen, das selber aus der Liebe kommt und darum offen ist für sie, ihr ein Recht einräumt und ihr Raum verschafft.

Liebe Gemeinde,
das ist die eine Ebene der Geschichte, die eine Hälfte der Spiegellandschaft auf der Postkarte, die ich wahrnehme und deren Spuren ich bei aller Lieblosigkeit, die mir begegnet und mit der ich selber immer wieder an anderen schuldig werde - auch in meine Leben finde. Diese Geschichte von der Salbung weckt in uns Erinnerungen, sie weckt Sehnsüchte und Hoffnungen, es ist eine Sternstunde der Liebe, in der nichts anderes zählt als nur das geliebte Gegenüber.

Aber wie die Postkarte vom See hat unser Evangelium noch mindestens eine andere Ebene, eine Ebene, die mich fasziniert und die mir auch etwas sagt über mein Leben, meinen Glauben, ja über Gott selbst.

Denn in dieser menschlichen Liebesgeschichte entdecke ich, wie in einem Spiegel die Geschichte der Liebe Gottes zu uns. Wie ein Gleichnis ist das, was die Frau fühlt und tut, wie ein Abbild dessen, was Gott selber tut und getan hat.

Die Zärtlichkeit der Liebe, die die Nähe sucht und die Berührung - ich erkenne sie wieder im Leben Jesu, in seiner Zuwendung zu denen, die auf Liebe warten, die auf Heilung und auf unbedingte Anerkennung hoffen.

Die Kraft der Liebe, die Grenzen überschreitet, ich finde sie in den vielen Erzählungen der Tischgemeinschaft, die Jesus mit Zöllnern und Sündern hatte

So ist die Geste der Frau, die Jesus salbt, wie ein Gleichnis für die unbedingte Liebe Gottes. Und diese Liebe Gottes ist eben nicht nur im Leben Jesu, sondern auch auf eine viel radikalere Art und Weise in seinem Sterben und seinem Tod sichtbar geworden. Jesus selbst, so erzählt Markus, weist die Männer im Haus des Simon darauf hin. Er deutet an, was sie zu diesem Zeitpunkt nicht begreifen können, was aber mit dem Karfreitag wahr wird, ja schrecklich wahr und doch erlösend und befreiend

Sie hat getan, was sie konnte,“ sagt Jesu. „Sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis.“

Am Karfreitag gehen wir auf das dunkle aber zentrale Geschehen zwischen Gott und Mensch zu. Erst am Kreuz wird die ganze Tiefe der göttlichen Liebe sichtbar, die wie die unbekannte Frau eben nicht rechnet und gegen rechnet, die nicht fragt, was es bringt,, sondern das Kostbarste gibt, verschwenderisch, ganz und gar, ein für alle mal, Christi Leib für dich gegeben.

Im Todesschrei des Gekreuzigten begegnet uns die Unbedingtheit, ja die Unvernunft göttlicher Liebe, die sich hingibt und nichts für sich will, sondern alles für uns.

Zwei Ebenen wie auf der Postkarte vom See. Eine ganz menschliche Liebesgeschichte und die entscheidende Geschichte der Liebe Gottes zu uns. Ganz eng sind sie zusammengebunden in dieser kurzen Szene, die Markus erzählt. Sie sind ineinander verschränkt und geben einander Tiefe und ungewohnte Perspektiven. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich kann mich nicht recht entscheiden, welche der beiden Ebenen wirklich ist und welche die Spiegelung.

Aber ich spüre beide Geschichten berühren unser Leben berühren unseren Glauben, unsere Hoffnungen, unsere Sehnsüchte. Und beide ziehen mich in ihre Wirklichkeit hinein.

Vielleicht ist das ja dann die dritte, die verborgene Ebene dieser Geschichte, das es in ihr um uns geht und um mich. Und wenn ich mich auf sie einlasse auf diese Geschichte, dann ist es fast so, als ob ich selbst am Ufer des Postkartensees stehe und mich sehen kann auf der glatten Oberfläche als Teil des Bildes und nicht als Betrachter. Dann geht es um die eigene Sehnsucht und darum, offen zu werden oder zu bleiben für die bedingungslose Hingabe mit der mir Gott begegnet. Und vielleicht macht mir das Mut, mich wieder selbst neu berühren zu lassen von der Liebe Gottes die mir gilt, aber auch anderen Menschen in dieser Liebe zu begegnen, verschwenderisch auszuteilen, manchmal nur dem einen ganz und gar, aber viel öfter denen allen, die auf Liebe und Hilfe warten. Das aber wären dann sicherlich andere und vielleicht ganz neue Liebesgeschichten. Amen

Werner Zupp, Pfarrer

 

Predigt zum Gottesdienst am Altjahresabend, 31. Dez. 2010
über die Jahreslosung aus Römer. 12,21 , Marktkirche Neuwied
Es gilt das gesprochene Wort!

Noch wenige Stunden, liebe Gemeinde, und ein neues Jahr beginnt. Heute und auch an den vorangegangenen Tagen haben viele von uns Rückschau gehalten, Rückschau auf die letzten 365 Tage, ob für sich persönlich, oder mit Hilfe der Berichte in der Zeitung oder auch mit den verschiedenen Sendungen des Fernsehens.
In wenigen Stunden ist die Zeit der Rückblicke vorbei, dann schauen wir nach vorn, nach vorn auf ein neues Jahr –
Das hört sich gut an, dass etwas Neues vor uns liegt. Und wir dürfen uns durchaus auch über den Beginn eines neuen Jahres freuen: Eine neue Zeit, neue Möglichkeiten. Und wenn der Kalender auch für das neue Jahr gewiss schon mancherlei Termine für uns bereithält, so eröffnet uns ein neuer Zeitabschnitt doch auch immer wieder viele neue Möglichkeiten und Chancen.
"Neu" ist ja ein beinahe magisches Wort: Neu beginnen, Neues wagen, neue Vorsätze umsetzen. Ein neues Jahr duftet nach Veränderung. "Ein neuer Tag ist wie ein neues Leben", hieß einst ein Schlager. Um wie viel mehr könnte man das von einem neuen Jahr sagen!
Auf der anderen Seite wird uns an der Schwelle eines neuen Jahres auch bewusst, dass wir die Zukunft nicht in unseren Händen haben. Neben aller Freude kommen darum auch die anderen Gedanken auf, die zu tun haben mit Ungewissheit, mit Fragen, vielleicht gar mit Ängsten oder konkreten Befürchtungen.
So feiern wir heute am Altjahrsabend gewissermaßen Gottesdienst zwischen Hoffnung und Sorge. Wir bringen unsere Fragen und Sorgen, aber auch unsere Freude und unseren Dank angesichts des zu Ende gehenden Jahres ins Gebet vor Gott. Und wir hören die alten Worte von der unwandelbaren Treue Gottes und lassen uns ermutigen aus der Schrift.
Viele von ihnen wissen, dass ich es mir in den letzen Jahren zur Regel gemacht habe im Gottesdienst am letzten Abend des Jahres über die Jahreslosung des neuen Jahres zu predigen. Eine Losung ist ein kurzes, gut merkbares Wort, eine Parole, ein Leitgedanke. In unseren Kirchen sind die Herrnhuter Tageslosungen wohl bekannt, die auf eine Tradition seit dem 18. Jahrhundert zurückblicken. Seit einigen Jahrzehnten, genauer seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, gibt es daneben auch die Jahreslosungen.
Die Jahreslosung für 2011 steht im Römerbrief des Paulus und sie lautet: "
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (Römer 12,21). Dieses Wort, dieser kurze Satz steht am Ende eines Abschnittes, der sich mit dem Leben der Gemeinde, aber auch mit dem Zusammenleben von Christen mit anderen Menschen befasst. All die Mahnungen zum Frieden, zum Verzicht auf Rache, zur Liebe gipfeln in diesem Satz, der fast wie ein Philosophenwort klingt. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Ein "goldenes Wort", wie wir oft sagen, ein Satz wie aus einem Wandkalender; bei näherem Zusehen aber auch eine große Herausforderung - und nichts weniger als eine Gebrauchsanweisung für das Leben, eine knappe und treffende Zusammenfassung christlicher Ethik.
Der erste Teil des Satzes klingt uns der Sprachform nach vertraut: "Lass dich nicht unterkriegen", so sagen wir zueinander gern. "Lass dich nicht einschüchtern!" Aber der stille oder unausgesprochene Nachsatz heißt doch heute: "Lass dir nicht alles gefallen! Wehr dich! Du hast das Recht dazu! Du hast die Kraft und die Möglichkeit dazu."
Paulus hingegen führt seinen Gedanken anders zu Ende: Überwinde das Böse mit Gutem.
Geht das überhaupt? Ist das nicht eine Illusion? Ein schöner Gedanke, aber die Verhältnisse, sie sind eben nicht so. Ein frommer Wunsch also, der mit der Realität unseres Lebens nichts, aber auch gar nichts zu tun hat? Mancher, der sich für einen Realisten hält, für einen Menschen, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit steht und sich auskennt, würde vielleicht so sagen. So läuft der Hase nicht in einer Leistungs- und Ellenbogengesellschaft. Jeder muss sehen, wo er bleibt. "Lass dir nichts gefallen! Wehr dich!", mit solchen Maximen bereiten heute Eltern ihre Kinder auf den harten Existenzkampf vor, schon in der Schule. "Das Böse mit Gutem überwinden", das ist ein schöner Gedanke, aber zu paradox für diese Welt.
Paulus sieht das anders. Er weiß auch um die Härten der Wirklichkeit, er leugnet ja nicht das Böse, sondern nennt es beim Namen. Aber er ist überzeugt: Christen können auch anders.
Die Jahreslosung ist verwandt mit dem Gebot der Feindes-liebe. Kaum ein Satz, den Jesus gesagt hat, ist so anstößig und herausfordernd wie die Forderung, die Feinde zu lieben und für die Verfolger zu beten (Matthäus 5,44). Jesus ist überzeugt, dass die Liebe eine Himmelsmacht ist, die wir auf Erden gebrauchen können und müssen. Es klingt widersinnig. Aber es ist doch so: Wenn wir das schafften, auch noch unsere Feinde zu lieben, dann wären sie keine mehr. Würde Feindesliebe gelebt von allen Menschen - dann hörte alle Feindschaft auf.
Eine Utopie! Natürlich, ja. Und doch gab es Menschen, die versucht haben, so zu leben.
Paulus formuliert anders, allgemeiner, prinzipieller: Er spricht nicht von Feinden und Liebe, er redet vom Bösen und vom Guten. Und anscheinend setzt er voraus, dass jeder Leser und jede Leserin mit diesen Begriffen etwas verbindet.
Können wir das auch annehmen? Gut und böse - die Oberbegriffe jeder Moral - scheinen für uns heute nicht mehr so klar zu sein. Überall hören wir doch in der Politik den Ruf nach Werten, die unsere Gesellschaft wieder zu benennen, die sie zu verteidigen und der nächsten Generation weiterzu- geben habe. Das klingt so, als seien uns die Werte, also das, was gut, und das, was böse ist, abhanden gekommen.

Hat also Friedrich Nietzsche recht behalten? Leben wir "jenseits von Gut und Böse"? In einer Welt des absoluten Relativismus?
Mancher klagt so, aber es ist nicht wahr: Natürlich haben sich moralische und ethische Maßstäbe verschoben; natürlich tun wir uns heute schwer, Gut und Böse prinzipiell zu benennen und überall geltende, ja absolute Maßstäbe anzugeben. Aber dennoch: Jede Zeit und Gesellschaft hat doch solche Maßstäbe. Und alle Religionen sind sich in Fragen der Ethik erstaunlich einig. Gut und Böse - die Maßstäbe mögen in Bewegung geraten und in der Diskussion sein, aber dass es Gut und Böse gibt, daran ist doch kein Zweifel.
Unsere Jahreslosung ist von diesen Diskussionen insofern nicht betroffen, als Paulus es dem Leser überlässt, hier sehr persönlich zu verstehen, was mit "Bösem" und "Gutem" gemeint ist. Genau diese Offenheit der Formulierung ist das Spannende. Was ist "das Böse"? Sind es andere Menschen, sind es Verhältnisse oder Katastrophen, oder ist es nicht vielleicht auch in mir selbst? "Und wir Christen? Beten wir nicht in jedem Vaterunser um die Erlösung vom Bösen?
Böses gibt es. Und das Böse ist bedrohlich, es zieht uns hinunter, hinein in Spiralen von Kampf, von Rechthaben und Rechtbehaltenwollen, von Rache und Missgunst.
Wie damit umgehen? Zwei Strategien herrschen hier vor: Die der Leugnung - und die des Kampfes.
Paulus folgt keiner dieser beiden Möglichkeiten: Er benennt das Bösen, es ist eine reale Erfahrung, die wir machen. Aber er ruft nicht auf zum Kampf, er schickt uns nicht auf ein Schlachtfeld: Das Böse bekämpfen, vernichten zu wollen - das hieße, sich hineinziehen zu lassen in seinen Kreis. Ob es Menschen oder Völker, Rassen oder Staaten sind, die von anderen zu Mächten des Bösen erklärt wurden - Ausgrenzung, Krieg und Vernichtung haben nur immer mehr Böses in die Welt gebracht.
Überwinde das Böse mit Gutem - das ist die christliche Strategie im Umgang mit dem Bösen, wo und in welcher Gestalt es auch immer begegnet: Gottes Reich wird nicht erkämpft, es wird gesät und wächst, da wo Menschen sich den Teufelskreisen des Bösen verweigern und angesichts des Bösen, Wege der Liebe und Wege zum Frieden suchen.
Können wir das? Gewiss nicht aus eigenem Willensentschluss, sondern nur aus dem Glauben an die Liebe Gottes, von der wir leben und immer nur weitergeben können. Wir müssen uns nicht um jeden Preis selbst behaupten, wenn wir uns von Gottes Liebe umfangen und getragen wissen.
Funktioniert es denn? Ja, es kann funktionieren. Freilich wird es viel zu selten versucht. Beispiele aus der Geschichte wie Mahatma Gandhi in Indien oder Nelson Mandela in Südafrika zeigen die Kraft gewaltlosen Widerstandes in der Politik. Mediation als Weg zur friedlichen Beilegung von Konflikten gewinnt in unseren Schulen immer mehr an Bedeutung - und schon Schüler werden darin ausgebildet, anderen als Mediatoren Wege aus den Spiralen von Hass und Gewalt zu zeigen. Und vielleicht haben auch einige unter uns schon erlebt, wie befreiend Gespräche und Begegnungen sein können, in denen Versöhnung geschieht, Vergebung ausgesprochen wird, Neuanfänge miteinander gewagt werden.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Eine Utopie und doch keine Utopie. Ich finde, das ist eine Einladung zum Leben, zur Liebe, zum Frieden. Und somit eine gute Losung für ein neues Jahr. Amen

 

 

Predigt über Joh 3,16-21 am Heiligen Abend in der Marktkirche zu Neuwied
von Pfr. W. Zupp
Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Gemeinde !

Der Heilige Abend ist ein seltsamer Tag. Nach meinem Eindruck ist er der einzige Tag im Jahr, der erst am Abend so richtig beginnt. Die Stunden davor sind oft noch geprägt von intensiver Vorbereitung und rühriger Geschäftigkeit. Da werden die sogenannten SOS-Geschenke besorgt, da wird die Wohnung geputzt, da duftet es aus der Küche nach Braten oder Gebäck. Und es liegt eine besondere Stimmung in der Luft - so eine Mischung aus Vorfreude und Erwartung, manchmal aber auch gepaart mit einer gewissen Gereiztheit. Kaum jemand kann sich ihr entziehen. Die Erwachsenen sind dann emsig beschäftigt, für die Kinder dagegen ziehen sich die Stunden in die Länge wie Kaugummi.

Und dann, endlich, wird es Abend. Die Dämmerung bricht herein, das öffentliche Leben kommt fast zum Erliegen. Und in die wachsende Dunkelheit hinein werden die Kerzen entzündet in den Häusern und in den Kirchen. Die Zeiger der Uhr scheinen für einen Moment lang stillzustehen. Denn jetzt ist er wirklich da, der Heilige Abend.

Ja, liebe Gemeinde, es ist so weit, Weihnachten. Alle Jahre wieder und alle Jahre wieder neu. Und kein Weihnachtsfest ist wie das andere. Die Älteren werden sich noch erinnern an Weihnachten in der Zeit des Krieges oder in der harten und entbehrungsreichen Nachkriegszeit. Da reichte es oft nicht für große Geschenke, viele Familien hatten nicht mal einen Tannenbaum. Aber eine Kerze hat man doch angezündet und ein Weihnachtslied gesungen. Und oft mögen diese ganz schlichten und bescheidenen Feiern gehaltvoller und schöner gewesen sein, als es manche heutigen sind.

Für mich ist Weihnachten vor allem ein Fest der Kerzen. Ich freue mich über liebevoll ausgesuchte Geschenke, und auch über ein gutes Essen. Aber sie machen nicht den eigentüm- lichen Zauber von Weihnachten aus. Was Weihnachten für mich zu einem ganz besonderen Fest macht, das ist sein Licht. Kein grelles, unbarmherziges Licht, sondern das milde und stille Leuchten, das - so wie hier in der Kirche - vom Baum und von der Krippe ausgeht.

Weihnachten ist ein Lichterfest. Der Grund dafür liegt übrigens schon in vorchristlicher und heidnischer Zeit. Im alten Rom wurde am 25. Dezember das Fest des Sonnen- gottes gefeiert, das Fest der Wintersonnenwende. Da freuten sich die Menschen, dass die Tage nun wieder länger werden und die Nächte kürzer. Sie freuten sich auf den Frühling und das neu erwachende Leben. Dafür lobten sie den Sonnengott. Als das Christentum Staatsreligion wurde, wurde aus dem Fest des Sonnengottes das Fest von Christi Geburt. Das lag auch nahe, denn seit den Anfängen des christlichen Glaubens gehören Jesus Christus und das Symbol des Lichts aufs Engste zusammen. Dies zeigt auch ein Blick ins Neue Testament und ganz besonders in das Johannesevangelium. Dort finden wir im 3. Kapitel die folgenden Sätze:

 

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.

18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind. Johannes 3, 16-21

Beim ersten Hören ist das kein sehr weihnachtlicher Text. Wir hören nichts von Hirten auf dem Felde, nichts vom Kind in der Krippe oder von den Weisen aus dem Morgenland, die der Stern nach Bethlehem führt. Alle diese freundlichen Bilder, die wir gewöhnlich mit dem Weihnachtsfest verbinden, suchen wir vergeblich. Eigentümlich abstrakt wirken die Worte aus dem Johannesevangelium, herb und nüchtern. Gewiss, da ist schon die Rede von Christus, dem Licht, das in die Welt gekommen ist. Aber im selben Atemzug ist da auch die Rede von der Finsternis, von den bösen Werken der Menschen und vom Gericht. Keine weihnachtlichen Töne. Oder vielleicht doch?

Vielleicht doch. Ich denke an das bekannte Weihnachtslied "O du fröhliche". Da heißt es in der ersten Strophe: "Welt ging verloren, Christ ist geboren". Also im Grunde der gleiche Ton wie im Johannesevangelium, der gleiche Ton und die gleiche Botschaft, die ich mal so auf den Punkt bringen möchte: Christus kam nicht in eine helle und auch nicht in eine heile Welt, sondern in eine dunkle und verlorene. Sein Licht ging dort auf, wo es ganz finster war, finster und trostlos. In diese Welt hinein wurde er geboren.

Und die Dunkelheit der Welt hat er dann ja auch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie kennen die Geschichte vom König Herodes, liebe Gemeinde, der dem neugeborenen Kind nach dem Leben trachtete. Nur durch die nächtliche Flucht nach Ägypten konnte die junge Familie den Häschern entkommen.

Auch später im Leben war sich Jesus seines Lebens nie sicher; immer wieder schieden sich an ihm die Geister, so dass sein Tod am Kreuz beinahe zwangsläufig erscheinen musste. Daran mag der Verfasser des Johannesevangeliums gedacht haben, als er die strengen Worte schrieb: "Das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse."

Ich höre diese Worte zwar nicht allzu gerne, und Sie vielleicht auch nicht, dennoch sind sie mir wichtig. Denn ich kenne Leute, die werfen den Christen vor, dass sie sich zu Weihnachten in ein verklärtes Idyll flüchten, das mit den Realitäten dieser Welt nichts zu tun hat. Nach dem Motto: Ihr Christen macht zu Weihnachten auf "trautes Heim", singt fromme Lieder vom niedlichen Jesuskind und verschließt dabei die Augen vor der Wirklichkeit der Welt. Ich höre diese Kritik, aber ich kann ihr nicht zustimmen. Mit Blick auf das Neue Testament schon gar nicht. Denn da bleibt die so genannte "böse Welt" nicht außen vor, ganz im Gegenteil; sie gehört mit hinein, sie ist sozusagen die dunkle Fassade, vor der das Licht von Weihnachten umso heller strahlt.

Dass die Welt nicht heil ist, das wussten die Menschen vor 2.000 Jahren und das wissen wir und haben uns im vergangenen Jahr vielleicht häufiger gefragt , was können wir hoffen, wie können wir glauben bei all den Nachrichten aus der Welt, die wir oft einfach schon nicht mehr hören wollen Die Missachtung des Menschen, wenn Gebäude, Diskotheken und Ausflugslokale in die Luft gesprengt werden und der Tod unzähliger Unschuldiger in Kauf genommen wird. Oder der tausendfache unpersönliche Tod beim Erdbeben in Haiti. Die Demütigung des Menschen, wenn Kinder geschändet oder vernachlässigt und dann „weggeworfen“ werden

Aber auch der Werteverfall in unserer Gesellschaft nimmt immer weiter zu: Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit bleiben zunehmend auf der Strecke. Und der allgemeine Sprach- gebrauch verharmlost das noch. Wer im Geschäft klaut, der lässt "etwas mitgehen". Wer Steuern hinterzieht, gilt als "clever". Und der Ehrliche ist der Dumme.

Nein, diese unsere Welt ist nicht heil, auch nicht am Heiligen Abend. Wenn man so will, schafft sie sich heutzutage selbst das Gericht, von dem im Johannesevangelium die Rede ist. Aber gerade deshalb ist die Botschaft von Weihnachten so wunderbar und so tröstlich. Wie heißt es da im Evangelium? "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben."

Gott hätte wahrhaftig allen Grund, diese finstere Welt sich selbst zu überlassen. Aber er tut es nicht. Martin Luther hat es staunend mal so gesagt: "Dass ein Gott sein soll und die Welt lieb hat und ihr etwas Gutes gönnt, das ist über alle unsere Vernunft, Sinn, Verstand und Kunst. Ich würde der Welt das höllische Feuer wünschen, und sonderlich täte ich das, wenn ich Gott wäre, der die Welt inwendig und auswendig kennt und weiß, was Welt ist. Das täte ich. Aber was tut Gott? Anstatt seines Zorns, den die Welt wohl verdient hätte, hat er die Welt lieb" , so weit Martin Luther. Und ich füge noch hinzu - und schenkt ihr seinen Sohn.

Noch einmal schaue ich auf das Licht am Tannenbaum. Es ist ein freundliches, sanftes Licht. Ein Licht, das mich anzieht und in dessen Nähe ich mich wohlfühle. So, wie sich viele Menschen in der Nähe Jesu wohlgefühlt haben. Wir brauchen da ja nur an die Hirten von Bethlehem zu denken. Sie stehen stellvertretend für alle die Menschen, die im Leben am Rande stehen, die die Dunkelheit der Welt am eigenen Leibe spüren, die sich vergessen und verloren fühlen. Die Hirten kommen zum Stall, sie sehen das Kind und das Licht, und es wird ihnen warm ums Herz. Dann gehen sie anders, als sie gekommen sind. Weil sie in diesem Kind ,Gott selbst gefunden haben. Weil sie gemerkt haben, dass sie nicht allein sind in ihrer Not und mit der Last ihres Lebens. „Und so priesen und lobten sie Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten“.

Heute Abend leuchtet das Licht für uns, liebe Gemeinde. Heute Abend sind wir eingeladen, zu dem Licht zu kommen, das Gott für uns aufgehen lässt in dunkler Nacht. Ganz gleich, wie es uns geht und wie wir sonst im Leben dran sind - dank dieses Lichtes dürfen wir Hoffnung haben und Zuversicht und Vertrauen. Gott ist da und unser Leben steht im Licht seiner Liebe - heute und in aller Zukunft. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Amen.

 

Hier können Sie sich den Weihnachtsgruß 2010 herunterladen.

 


Predigt zum Reformationstag 2010
Pfr. Werner Zupp

Liebe Gemeinde!

Reformationstag. Da werden bei manchen von uns Erinnerungen wach: Schulgottesdienst und in geschlossenen Reihen zur Kirche hin. "Ein feste Burg ist unser Gott ...", alle Strophen auswendig. Und zuvor im Religionsunterricht die Heldengeschichten der Reformation. "Martinus Luther war ein Christ, ein glaubensstarker Mann ..." Später, vielleicht auf einer Urlaubsreise, der Besuch beim Lutherdenkmal in Worms. Der große Reformator in heldenhafter Pose, männlich - bekennerhaft gegen Kaiser, Fürsten und alle Welt: "Hier steh ich nun, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen." Nicht wenige evangelische Christen, liebe Gemeinde, haben sich inzwischen von dieser Art protestantischen Selbstbewusstseins abgewandt. Die Zeit des Pathetischen und Kämpferischen sei vorbei. Zu oft habe es Zwietracht gesät. Und außerdem entspreche es nicht mehr unserem heutigen Lebensgefühl. Statt dessen ist vieler Orten, so scheint es, der Weichzeichner in die Kirche eingezogen. Alte, sperrige Texte werden ausgeklammert, weil sie dem modernen Menschen angeblich nicht mehr zumutbar sind. "Hemmschwellen" werden niedriger gesetzt. Kein Gottesdienst mehr ohne eine Kerze, die mir etwas sagen will, ohne ein welkes Ahornblatt, das irgendeine Botschaft enthält. Und am Ausgang ein paar hübsche Postkarten mit Sonnenuntergang und einem Wohlfühlsprüchlein. Und wer es bis dahin noch nicht mitbekommen hat, dass man eigentlich nur mit dem Herzen gut sieht, darf es dann auf Hochglanz bei Ulrich Schaffer und Jürgen Fliege nachlesen. Gegen alle Vorurteile möchte ich es heute trotzdem wagen, neu auf die alte, und die "sperrige" Botschaft der Bibel zu hören, wie sie den Reformatoren so wichtig geworden ist. Ich lese aus dem Römerbrief, Kapitel 3, die Verse 21- 28

Große Begriffe führt dieser Text auf, die uns heute ungewohnt scheinen, aber der Inhalt ist klar: "Wer an Jesus Christus glaubt, wird in Gottes Gericht bestehen. Das, was ihr mit keinem Tun erreichen könnt, schenkt euch Gott um Christi willen. Ihr seid Gott recht." Diese wenigen Zeilen waren eine Sensation für die Gemeinde in Rom, eine radikale Wende ihres Glaubens und Lebens und eine ungeheure Befreiung. Fragt sich nur, warum wir das heute relativ ungerührt hören, ohne Riesenbegeisterung. Liegt das nur daran, dass wir diese Botschaft ja nun schon lange kennen? Ich glaube nicht. Ich glaube, es liegt daran, dass die zentrale Frage, auf die Paulus hier antwortet, nicht mehr unsere zentrale Frage ist. Sie war es jahrhundertelang. Martin Luther hat diese Frage gequält wie alle seine Zeitgenossen, und die Antwort des Paulus war die Befreiung für ihn, das zentrale Glaubenserlebnis, was dann zum Konflikt mit der offiziellen Kirche und zur Reformation führte. Aber eben: Es ist heute nicht mehr unsere zentrale Frage. Oder wann haben Sie das letzte Mal Angst vor dem kommenden Gericht Gottes gehabt? Wann haben Sie sich so vor Gottes Zorn gefürchtet, dass Sie alle möglichen Anstrengungen unternommen hätten, um diesen Zorn zu besänftigen?

Nein, wir haben hier eine vollmächtige Antwort auf eine Frage, die nicht mehr unsere ist. Und kein Thesenanschlag, der auf dieser Antwort des Paulus beruht, würde bei uns eine Reformation auslösen.

Was also tun? Paulus und Luther zu den Akten legen? Nur noch aus historischem Interesse an das alles denken? Das kann nicht die Lösung sein. Nein, ich meine, es geht zuallererst darum, zu entdecken, was denn die zentrale Frage von uns heute ist, die die Alte abgelöst hat.

Ich kann mich irren, aber meiner Meinung nach lautet die zentrale Frage heute: "Wie kann ich jemand sein?" Vielleicht müsste ich noch genauer sagen: "Wie kann ich jemand von Bedeutung sein?"

Für den Wert dieser Frage gibt es viele Belege: Dass Menschen versuchen, Karriere zu machen, auf der Erfolgsleiter nach oben zu klettern, das gab es auch schon früher. Aber heute sind viele Phänomene dazu gekommen, die die Wichtigkeit dieser Frage: "Wie kann ich jemand sein?" belegen.

Die Ratgeberliteratur wächst ins Unermessliche. Ging es früher um das Erlernen praktischer Fähigkeiten wie Kochen oder Autoreparaturen, so haben heute Ratgeber Hoch- konjunktur, die mir zu mehr Kompetenz in sozialen Dingen helfen sollen, vom Erziehungsratgeber bis zu "Wie gewinne ich Freunde?" Bücher sind gefragt, die zu mehr Persönlichkeit helfen sollen: "Wie drücke ich meine Gefühle aus?", "Wie kommuniziere ich richtig?" bis zu: "Wie werde ich glücklich?" Menschen kaufen Kleidung, auf denen groß oder auch dezent, aber unübersehbar, der Designer angegeben ist; diese Kleidung soll nicht nur Nacktheit bedecken oder wärmen, sondern anzeigen: "Ich bin jemand, jemand mit Geschmack, jemand, der es sich leisten kann, diese teure Jacke oder Hose zu tragen." Auf allen Fernsehkanälen begegnen uns die so genannten Castingshows: "Deutschland sucht den Superstar", "Germany's next Topmodel" und wie sie sonst heißen. Die Bewerbungen zu solchen Shows gehen in die Zehntausende. Zehntausende wollen also bekannt werden, vielleicht sogar berühmt, wollen heraus aus der Unbekanntheit, wollen sich und ihre vermeintlichen Talente vorzeigen dürfen. Nicht nur Firmen oder Geschäfte haben heutzutage "Homepages" im Internet, sondern auch viele Privatleute, Menschen wie Sie und ich. Auf ihrer Homepage präsentieren sie ihre Fotos, ihre Reiseerinnerungen oder Tagebucheintragungen und hoffen, dass möglichst viele ihre Seite anklicken und sie zur Kenntnis nehmen. "Meine Seite haben mittlerweile schon 6.000 Leute besucht", sagte mir vor kurzem stolz eine junge Frau.

Doch nur wenige schaffen es damit bei vielen bekannt, gar berühmt zu werden. Und selbst die werden von der Angst gequält, von diesem Gipfel bald wieder abzustürzen, schnell in Vergessenheit zu geraten, wieder ein "Niemand" zu werden, wie man so schön sagt.

Und was hat das mit Paulus und seiner Botschaft zu tun? Nun, ich meine, seine Antwort passt auch auf diese zentrale Frage unserer Zeit. "Was immer du auch tust, um jemand zu werden, bedeutend zu sein oder berühmt - du wirst scheitern. Solltest du es schaffen, bist du immer vom Scheitern bedroht. Dein Denken ist falsch. Du musst nicht erst jemand werden, du bist schon jemand. Und zwar jemand mit großer Bedeutung und Wichtigkeit. Nicht aufgrund deiner Talente und Fähigkeiten, nein, sondern weil Gott es so will. Ihm bist du ungeheuer wichtig. Wieso? Schau Jesus Christus an. In ihm hat Gott auf alle Göttlichkeit verzichtet, ist den Menschen nahegekommen, ganz nahe, und hat sogar ihr Geschick, ihre Leiden und ihren Tod auf sich genommen. Und das hatte keinen anderen Grund als seine Liebe zu ihnen. Weil du ein Teil von ihnen bist, gilt seine Liebe dir, hat er für dich all das auf sich genommen. Und da solltest du unbedeutend, ein Niemand, sein?"

Lassen Sie das doch noch einmal auf sich wirken: Ich bin Gott ungeheuer wichtig, weil er mich liebt. Ich bin jemand, "made by god and loved by god". Werden Sie da nicht gleich ein Stückchen größer, atmen Sie nicht befreiter? Sie haben allen Grund, den Kopf zu heben, sich aufzurichten und stolz zu sein: "Ich bin jemand." Dieses Urteil über Sie fällt keine Jury oder keine Presse, die heute so und morgen anders urteilt. Dies Urteil fällt der allmächtige und ewige Gott.

Was ändert sich für Sie dadurch in Ihrem Leben? Ich glaube, dass müssen Sie und ich erst wieder lernen, neu zu buchstabieren. Aber ich bin sicher: es ändert Ihre Einstellung zu sich und zu Ihrem Leben - wo und wie genau, das müssen Sie ausprobieren. Probieren, wie sich das anfühlt, wenn Sie niedergeschlagen sind, einen Misserfolg erlebten, wieder mal Ihre guten Vorsätze nicht halten konnten. Wie fühlt es sich an, wenn Sie dann gesagt bekommen: "Trotzdem! Ich bin von Gott geliebt und ihm ganz ungeheuer wichtig." Wie wird es Ihnen gehen, wenn Ihnen das gesagt wird in Zeiten der Krankheit, der Einsamkeit oder der Trauer? Oder dann, wenn Sie sich selbst nicht leiden können? Ich bin mir sicher: Es gibt keinen festeren Grund als dieses Urteil Gottes über Sie, ein Grund, der Sie nicht ganz und gar versinken lässt, der Ihnen wieder festen Halt gibt.

Dass dieses Urteil Gottes auch noch viele andere Konsequenzen hat, weil es ja ein Urteil ist, das auch für andere gilt, auch für die, die Ihnen fremd sind oder die Sie nicht leiden können; dass dieses Urteil auch Konsequenzen im Großen hat, in der Sozialpolitik oder in den Beziehungen der Völker untereinander - das ist unbestritten.

Nur, heute ist wichtig, dass Sie dies für sich selbst hören und für sich selbst gelten lassen: "Ich bin Gott unendlich wichtig." Dann nämlich fängt "Reformation" - und das heißt ja "Erneuerung" - da an, wo sie anfangen muss: bei Ihnen selbst.

Amen

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Krimi - Predigt zu 1 Mose, 4. 1-16 zum Wochenende
Tatort Marktplatz, am 11 Sept. 2010, Marktkirche Neuwied

Liebe Gemeinde,

Tatort und Polizeiruf, Eifelkrimis und Alpenkrimis ziehen unzählig viele Menschen in ihren Bann. Sie gestalten unseren Sonntagabend und sind Lesestoff für viele Urlaube.

Warum mögen wir Krimis, was reizt uns an den Büchern und Filmen, in denen unzählige Untaten begangen und Verbrechen verfolgt werden. Warum betrachten wir das, was uns in Wirklichkeit eher abschreckt oder Angst macht mit größter Faszination, wenn es uns zwischen zwei Buchdeckeln oder auf dem Bildschirm begegnet?

Wir fragen uns: Wer ist der Täter? Wie ging die Tat von statten? Wird er oder sie geschnappt? Wir rätseln mit, wenn es um die Aufklärung geht und fiebern bei der anschließenden Verfolgungsjagd. Wir jagen die Täter von Lesesessel oder vom Wohnzimmersofa aus und wir lassen nicht locker bis sie hinter Schloss und Riegel sitzen.

Zuallererst erwarten wir Spannung. Ein guter Krimi muss uns nicht nur auf die Folter spannen, sondern auch Einblick in das Denken und Fühlen interessanter Personen vermitteln, denen wir begegnen. Wir wollen ihre Charaktere kennen- lernen, ihre Motive und Marotten. Gute Krimis sind deshalb auch immer Psychogramme. Sie beschreiben Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, das gilt für die Kriminellen ebenso wie für die Kriminalisten. Krimis geben uns einen Blick auf unsere sozialen Beziehungen und schließlich gehört zum besonderen Reiz von Krimis, dass sie uns entlasten, denn mit der Aufklärung des Falles am Ende geben sie uns das Gefühl, dass die oft so chaotische Welt, in der wir leben, doch noch durchschaut und die Störungen ihres Gleich- gewichts wieder in Ordnung gebracht werden können.

Spannung und Psychologie - die Krimis der Bibel haben in diesen Punkten nicht weniger zu bieten. Und sie würden Material für viele Fernsehkrimis bieten: Da gibt es Kriminelles aus den besten Familien, politische Morde und Kleinkriminalität, skrupellose Anschläge und Verbrechen von Staats wegen – alles das finden wir in der Bibel. Die gesamte Breite menschlicher Niedertracht und somit Material für viele gute Tatorte. -

Am Anfang der Bibel und somit am Anfang der Menschheits geschichte steht auch ein Mord, schlimmer noch ein Bruder- mord. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Wie es dazu kommt, wird nur mit wenigen Sätzen erzählt, aber am Motiv bleibt kein Zweifel: Eifersucht. Aber hören sie selbst, was im ersten Buch der Bibel berichtet wird:

Lesung: 1. Mose 4,1-16

Liebe Gemeinde, obwohl die Tat zunächst wie eine Handlung im Affekt aussieht, ist sie in Wahrheit ein genau geplantes Verbrechen. Kain lockt Abel, seinen Bruder, gezielt an einen Ort, wo er ihn ohne Zeugen umbringen kann. Damit geht es in diesem Fall nicht nur um Totschlag, sondern um Mord, vorsätzlich und mit Bedacht ausgeführt.

Das in der Bibel schon das erste Bruderpaar der Menschheit auf diese Weise ein Opfer der Gewalt wird, lässt tief blicken.. Es zeigt, dass der Mensch von Anfang an und also von seiner Natur her, in der Gefahr steht, das Zusammenleben mit seinem Nächsten gewaltsam zu stören, ja gar zu zerstören. Diese Gefahr hängt wie ein Schwert am seidenen Faden über

jeder menschlichen Beziehung, weil der Mensch zum Bösen fähig ist und es nicht immer schafft, der Verführung zum Verbrechen zu widerstehen. Untaten, wie den von Kain verübten Brudermord sollen keineswegs entschuldigt werden. Vielmehr wird uns hier, wie an vielen anderen Stellen in der Bibel, die menschliche Realität vor Augen geführt Eine Realität, mit der man rechnen muss und auf die man reagieren muss.

Aber - und jetzt kommt vielleicht das Unerwartete – auch Gott muss sich mit diesem Verbrechen auseinander setzen. Und seine Reaktion ist gefragt. Nach dem Verschwinden Abels tritt er als Ermittler auf den Plan und löst diesen Fall im Handumdrehen. Im Anschluss an ein extrem kurzes Verhör sagt er dem Täter den Mord auf den Kopf zu.

Die Geschichte von Kain und Abel ist also eine Art Kurzkrimi, in dem Tatmotiv, Tatvorbereitung, Tataus-führung, Tatverfolgung und Täterermittlung nur in kürzester Knappheit geschildert werden, die aber zugleich im Brudermord als „Urverbrechen“ der Menschheit die ganze Geschichte menschlicher Kriminalität zusammenfasst.

Dass Gott in diesem Fall selbst die Strafverfolgung übernimmt, ist keineswegs ein Zufall. Als Schöpfer allen Lebens ist Gott vielmehr durch den Mord an Abel selbst direkt mit getroffen. Denn das Leben, das er auch Abel geschenkt hatte, wird durch Kain mutwillig ausgelöscht.

Auch noch in seiner Strafe für Kain erweist sich Gott als Anwalt des Lebens – nicht nur weil er diesem sein Leben belässt, sondern weil er ihn zusätzlich durch ein besonderes Zeichen vor der Tötung durch andere bewahrt. Nicht Rache und Vergeltung sind also der Maßstab für Gottes Strafe, sondern der Schutz des Lebens, ja sogar der Schutz des Mörders.

Vielleicht würde heute mancher Strafverteidiger in einer Verhandlung mildernde Umstände für Kain geltend machen. Immerhin ist er selbst das Opfer einer verletzenden Ungleich- behandlung durch Gott geworden. Warum reagierte Gott auch so unterschiedlich auf die Opfer- und Altargaben der beiden Brüder?

Die biblische Geschichte gibt auf diese Frage keine Antwort. Sie lässt sie aber auch nicht als Ausrede für Kain gelten. Ihr geht es um das Faktum des Verbrechens. Dieses darf nicht folgenlos bleiben, und deshalb schaltet Gott sich selbst in den Fall ein, nachdem er Kain schon zuvor gewarnt hatte.

Die Geschichte als Ganze zeigt: Auch wenn Gottes Warnungen fruchtlos bleiben, auch wenn es dem Menschen nicht gelingt, Herr über die Sünde zu sein, Gott bleibt der Herr des menschlichen Lebens, für das er noch über den Tod hinaus eintritt. -

Kriminalgeschichten sind Dreiecksgeschichten, sie spielen im Spannungsfeld zwischen Täter, Opfer und Ermittler und auch viele biblische Krimis geben diese klassische Rollen -verteilung her.

Nun gehört es eigentlich zum Wesen krimineller Täter, dass sie unerkannt bleiben wollen und wo ihr Name nicht ermittelt wird, stehen die Chancen gut, dass sie davon kommen. In den meisten Krimis der Bibel jedoch werden die Täter nicht nur erwischt, sondern auch beim Namen genannt, selbst wenn es sich um Könige, Minister und Prominente des Volkes Israels handelt. Die Mörder und Hochverräter, Diebe und Betrüger und heißen Kain, Jakob, Mose, David, Isebel oder Herodes und viele andere wären hier aufzählen.

Wir erfahren in den biblischen Krimis allerdings nicht nur, was diese Personen verbrochen haben, sondern auch warum. Wir erfahren ihre Charaktereigenschaften und Hinterge –danken. Und vielleicht trifft manchen dieser Täter unsere Abscheu und Verachtung, mit anderen können wir uns vielleicht sogar identifizieren.

Und die Ermittler schließlich in der Bibel, sie sind wie in jedem Krimi, Personen von besonderer Ausstrahlung und Fähigkeiten. Die Propheten Nathan, Elia und Elischa, der weise Daniel, der treue Josua oder die mutige Ester. Sie lösen ihre Fälle zum Teil mit unkonventionellen Methoden. Und der wichtigste biblische Ermittler ist Gott selber. Die Mehrzahl der Fälle wird durch oder zumindest mit seiner Hilfe gelöst. Er kommt Adam und Eva auf die Spur und stellt Kain zur Rede und auch der König David muss sich vor ihm verantworten.

Dass Gottes Rolle in den biblischen Krimis kaum über schätzt werden kann, hat wohl seinen Grund vor allem darin, dass er nach biblischem Verständnis der Herr der Weltgeschichte und auch der Herr der menschlichen Kriminalgeschichten.

An einer Stelle in der Bibel wird die klassische Rollen- verteilung des biblischen Krimis jedoch auf den Kopf gestellt: in der Passionsgeschichte nämlich. Hier in den Evangelien wird Jesus, der als Bevollmächtiger Gottes gilt, nicht nur ein Opfer von Verfolgung und Gewalt, sondern er gerät in den Verdacht selbst ein Gesetzesbrecher zu sein. Als er am Ende den Tod eines Kriminellen am Kreuz stirbt, wächst Gott plötzlich eine ganz neue Krimirolle zu. Nun ist es auf einmal an ihm, Unschuld zu beweisen. Und alle Indizien sprechen eher gegen seinen Mandanten, denn der Bruch jüdischer Gesetze war Jesus zweifelsfrei nachzuweisen.

Mit der Auferweckung Jesu rehabilitiert Gott den zum Tode Verurteilten. Der vermeintliche Gotteslästerer entpuppt sich in Wahrheit als von Gott Gesandter. So gewinnt Gott selbst auf dem Feld des Verbrechens einen neuen Platz. Denn indem Jesus die Opferrolle auf sich genommen hat – und in ihm Gott - hat er sich mit den vielen Opfern von Verbrechen und Gewalt auf einmalige Weise solidarisiert. Alle die unter kriminellen Vergehen zu leiden haben, können angesichts dieser Tat, Gott fest auf und an ihrer Seite wissen. Und nicht zuletzt hat Jesus mit seinem Kreuzestod die Botschaft von der vergebenden Liebe Gottes für alle Menschen bis ins letzte beglaubigt. Sein Kreuzestod und seine Auferweckung beweisen, dass keine Kraft der Welt diese Liebe aufhalten oder gar vernichten kann. Sie gilt und das ist eine der Zumutungen der biblischen Kriminalgeschichten bis heute.

Sie gilt den Tätern, die Gott durch ihr Handeln heraus-forderten, sie schließt die Bestrafung der Verbrechen nicht aus, aber sie hält die Möglichkeit zu einem Neuanfang jenseits von Schuld und Strafe, für jeden Tag , auch für jeden Tag unseres Lebens, offen. Amen

Werner Zupp, Pfarrer

 


Predigt zu Kol 3,12-17 am Sonntag Kantate
02. Mai 2010 in der Marktkirche, Neuwied

Im Kolosserbrief Kapitel 3 heißt es:

12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; 13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. 15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.
 16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

 

 

Liebe Gemeinde,
der Predigttext heute geht einem runter wie Öl oder? Wir sind die Auserwählten Gottes, die Heiligen und Geliebten.

Liebe Auserwählte Gottes, liebe Heilige, Geliebte,
unser Gewand -so der Text weiter-, welches wir als diese anziehen sollen, sei herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld.
Diese sind die geweihten Gewänder, die der Herr uns bereitet. Das ist der feste Boden, auf dem wir schreiten. Diese sind die heiligen Hallen in denen wir weilen.

Liebe Gemeinde,
Gott erkennt uns als Auserwählte, Heilige, Geliebte, aber wie sehen wir uns selbst?
Wie tragen wir, als Auserwählte das Gewand der Freundlichkeit, des herzlichen Erbarmens?
Schlurfen wir mit hängenden Schultern, gebeugtem, geknicktem Rückgrad, gesenktem Kopf und leiser nuschelnder Stimme, aber in auserwähltem Gewand durch eine in unseren Augen graue Welt, deren Farbenpracht uns anficht?
Welch trauriger, grotesker Anblick.
Oder tragen wir einen bösen Blick über unserer dem Himmel entgegengereckten Nase? Kreischen wir mit zimbelhafter Stimme neidische Kränkungen in die Welt? Rühmen uns dabei aber eines Gewandes welches wir in Selbstverliebtheit und Anmaßung zum Schneider gaben?
Welch kranker, böser Anblick.
Oder schreiten wir, mit vertrauendem Schritt, einem liebevollen, freundlichen Antlitz, demütig mit klingenden Worten auf der Zunge die heiligen Hallen göttlicher Schöpfung entlang?
Welch gottgefälliger Anblick.
Und wie sieht es mit uns als Gemeinde aus? Sind wir eine Gruppe von Auserwählten mit diesem positiven, auf Vergebung gründenden, einladenden Selbstverständnis?
Oder rechnen wir einander auf, zergehen uns in Gemecker und Hinweisen auf die Grenzen unseres Tuns für Gott mit weltlichen Begründungen.

Liebe Auserwählte, was der Kolosserbrief uns sagen will: „Wir sind der Klangkörper Gottes. In seiner Ebenbildlichkeit klingen oder quitschen wir von ihm. Rühmen oder Kreischen ihm.“
Gegeben ist uns göttliche Ebenbildlichkeit vor seinem Antlitz. Wie wir die Gabe aufnehmen, zur Aufgabe uns machen, das ist unser.

Liebe Heilige,
der Kolosserbrief lässt uns aber nicht zurück mit Beschreibungen und Forderungen, die wir angesichts nicht wegzulügender Tristesse in unserer Welt kaum erfüllen können. Auch dem Verfasser des Predigttextes sind die Schattenseiten, die vermeintlichen Unmöglichkeiten, des Lebens bekannt, denn er lebte in dieser Welt, die damals wie heute von Angst, Traurigkeit und Missklängen geprägt ist.
Nein, er weiß in welcher Welt wir uns zu bewähren haben. Was er der Gemeinde schon damals und uns heute in Erinnerung rufen möchte, ist die Haltung, mit der wir dieser Welt begegnen. Der Kolosser erinnert uns daran, wer wir sind. Wir sind Heilige, wir sind Auserwählte Gottes und mit diesem Selbstverständnis gilt es aufzutreten. Wir sollen der Welt nicht ausweichen, wie die mit den hängenden Schultern. Wir sollen die Welt nicht verbessern, wie die mit den erhobenen Nasen. Nein wir sollen die Not der Welt als Aufgabe annehmen, demütig, d.h. zum Ruhme Gottes. Dazu gehört zunächst sich gegenseitig zu vergeben -wahrlich die größte Hürde, dem Auserwählt-Sein gerecht zu werden- denn wir sollen uns als Auserwählte in Freundlichkeit begegnen.
Aber auch jetzt darf man dem Kolloserbrief keine Naivität unterstellen, denn er ist sich der Schwierigkeit dieses Aufrufs durchaus bewusst. Darum gibt er uns folgende Anweisung:

 

16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.“

 

Der Kolosser erinnert uns daran, dass Lehre und Ermahnung die Schlüsselwörter des aufrechten Ganges sind. Sie sind die würdige Haltung für das Gewand der Vergebung. Er spricht von Lehre und Ermahnung in Weisheit, d.h. nicht aufgrund von Stammtischwahrheiten oder irgendwelchem Halbwissen. Sondern in Weisheit, der höchsten Form des Wissens. In wissendem Glauben, sollen wir uns gegenseitig Lehren und Ermahnen.
Jetzt bleibt nur noch die Frage: „Wie sollen wir das leisten?“ „Was gab uns Gott, ihm diesen Dienst zu tun?“
Der Kolosser kennt die Antwort. Gott gab uns die Musik, den Gesang. Das gesprochene Wort hat Kraft, dem gesungenen Wort wohnt ein Zauber inne. Die Musik rührt uns Menschen an. Sie dringt an Orte, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Liebe Auserwählte,
wenn wir singen, klingt Gott selbst mit ein, singt unser alter ego, unsere Ebenbildlichkeit Gottes. Dazu gehört, dass unser Gesang nur dann einen guten Klang erlangt, wenn wir gerade, aufrecht stehen und nicht schlaff rumhängen oder vollkommen überdehnt dastehen.
Wichtiger aber ist der eben genannte Zauber bzw. die vom gemeinsamen Gesang ausgehende Kraft. Sie kennen vielleicht den Satz: „Wir können zwar gemeinsam singen, aber nicht gemeinsam reden.“ Erstes klingt wohl, letzteres gleicht babylonischem Sprachgewirr. Gemeinsam können wir nur im Gesang die Stimme mit effektiver Kraft erheben.
Diese Kraft die vom gemeinsamen Musizieren, vom gemeinsamen Gesang ausgeht, klingt durch Zeiten und Welten, lässt Mauern einstürzen von Jericho bis Berlin.
Beides schien lange Jahre unmöglich.

Liebe Heilige,
das gesungene Wort klingt nach. Wer von ihnen schon in Taizé war, erinnert sich vielleicht an den Morgen danach. Mir ging es dort oft so, dass ich des Morgens mit dem Gesang „laudate omnes gentes“ wach wurde, welchen wir am Abend zuvor in der Kirche zu Taizé sangen. Und schon bevor ich die Augen öffnete, wusste ich wo ich war und vor allem warum ich dort war, eben um Gott die Ehre zu geben, ihn zu loben wir Völker alle.

Liebe Auserwählte,
der Kolosser weiß, dass gesungene Ermahnungen ohne Umschweife ins Herz vorstoßen, da sie den erhobenen Zeigefinger des gesprochenen Wortes, vermissen lassen. Denn der Ton macht die Musik. Wie leicht geht manchem gesungener Vaterlandsstolz von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt über die Lippen, welche er oder sie niemals aussprechen würde. Das passiert nicht nur spätere baden-würtembergischen Ministerpräsidenten auf Burschenschaftsfeiern in Tübingen.
Darum ist der Fokus gesungener Ermahnung nicht zu verlieren. Musik hat aufgrund ihres Zaubers, die Möglichkeit uns Dummes glauben zu lassen. Darum, so der Kolosser weiter, ist Christus, die Liebe, das Band oder der Kanon, welches die Töne zusammenhalten muss. Und das gelingt eben am Besten, wenn wir -wie im Choral angestimmt- ihn den Christus, und seine Bedeutung für uns mit Cherubim und Seraphim loben. Wenn wir singend unserem Auserwählt-Sein gerecht werden, d.h. unser Gewand des herzlichen Erbarmens, der Freundlichkeit, der Demut, der Sanftmut und der Geduld annehmen und Gott singend loben und preisen.

Amen

 

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Predigt zu 1. Kor. 15,1-11 an Ostersonntag 
am 4. April 2010 in der Marktkirche, Neuwied

 
Liebe Gemeinde.
 
Meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus dem Oberbergischen. Das ist das Land südöstlich von Köln, zwischen Gummersbach und Wiehl, zwischen Nümbrecht und Waldbröl.
Die Oberberger, sie sind bis heute dafür bekannt, dass sie besonders fromm sind. Auch meine Großtante Martha, die Schwester meiner Großmutter stammte von dort und sie wusste viel von unseren frommen Vorfahren aus dem Oberbergischen zu erzählen. Ich muss gestehen, ich habe sie oft in meiner Kindheit und Jugend wegen ihres Glaubens bewundert und manchmal, wenn sie so aus ihrer Kindheit und Jugendzeit anfing zu erzählen, dann wusste sie auch davon zu berichten, dass sich im Oberbergischen die Menschen, die sich in den Gebets- und Bibelkreisen  trafen, dort auch zusammen kamen, um sich gegenseitig von ihrer Bekehrung und von ihren Begegnungen mit dem lebendigen Herrn Jesus Zeugnis zu geben. Manche von ihnen waren dann so fromm, dass sie dann auch glaubten auch ein eigenes Liederbuch haben zu müssen, sie besorgten sich ein Harmonium und gründeten eine eigene Kirche.
 
Unsere Tante Martha dagegen war nüchtern und eine Realistin: „Kinder“, sagte sie, „Lest in der Bibel, lest in der Heiligen Schrift!“
Ich glaube, liebe Gemeinde, diese Nüchternheit ist wichtig, auch wenn das Osterfest ein rauschendes Fest. Sie ist wichtig diese Nüchternheit, damit das Osterfest ein rauschendes Fest wird und nicht ein be-rauschendes Fest.
 
Lest in der Heiligen Schrift schreibt der Apostel Paulus an die Menschen in Korinth. Kennen Sie, liebe Gemeinde, kennen Sie jemanden von denen, von denen der Apostel Paulus hier schreibt, sie hätten eine persönliche Begegnung mit dem Herrn Jesus gehabt. Ich kenne niemanden von denen und ein paar von ihnen, so schreibt Paulus, seien sogar schon tot gewesen zu dem Zeitpunkt, als er diesen Brief an die Korinther schrieb. O ja, die Frommen aus dem Oberbergischen, sie hätten gewiss gerne ihre Namen mit hineingesetzt in die Liste derer, die spezielle Glaubenserfahrungen gemacht und die den Auferstandenen persönlich erlebt haben.
 
Aber nein, sagt Paulus. Diese Liste ist abgeschlossen. Da kommt niemand mehr hinein. Der Apostel selbst ist der letzte in dieser Liste. Darum lest in der Schrift und da lese ich: Als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe. Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift. Nach der Schrift. Gestorben waren vor Christus schon viele und auch nach ihm. Und auferstanden ebenfalls. Der Apollonius von Tyana z. B. und der Alexander von Abuniteichos. Alles schöne starke erfolgreiche und tüchtige Helden. Auch in Korinth, so ist dem Apostel Paulus zu Ohren gekommen, auch in Korinth, soll es Auferstehungen gegeben haben von Menschen, die auf irgendeine Weise besondere Berühmtheit erlangt haben. Gestorben und auferstanden nach den Gesetzen menschlicher Träume, Sehnsüchte und Ideale. Nein! Für Jesus Christus gilt das nicht. Für ihn gilt: Gestorben nach der Schrift und auferstanden nach der Schrift. Gestorben und auferstanden nach dem guten Willen Gottes. Der, den wir an Karfreitag als den ganz und gar Toten gepredigt haben. Der, der von Gott und aller Welt verlassen wurde, der, der als der aussichtslose Wanderprediger, wohin er auch kam den unverbesserlichen Hang in die Tiefe zeigte, er ist Gottes Meisterstück. Nach ihm hat Gott die ganze Menschheit zu erneuern begonnen und wird mit ihm die Welt vollenden. Mit ihm hat Gott zurückgegriffen auf den Tod und den Tod gebunden an das Leben.
 
Das ist es, was der Apostel Paulus empfangen hat. Das ist es, was er weitergibt an die Menschen in Korinth. Dieses Evangelium. Und dann fingen die Evangelisten an, Geschichten zu erzählen und aufzuschreiben. Geschichten von dem, der lieben kam und sterben ging. Geschichten von seinem Leiden und Sterben, von seinem Leben und seinem Tod. Geschichten vom dem Gekreuzigten, Auferstandenen. Gestorben nach der Schrift und auferstanden nach der Schrift. Nach der Schrift, die Gottes Geschichte mit den Menschen und mit der Welt in vielen lesenwerten Episoden erzählt. Nur eine Geschichte, liebe Gemeinde, eine Geschichte fehlt mir in der Heiligen Schrift. Eine Geschichte von der Höllenfahrt Jesu. Im Glaubensbekenntnis bekennen wir ja „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ . Früher hieß es da übrigens „niedergefahren zur Hölle“. Und ich frage mich immer wieder, weshalb wohl kein Evangelist auf die Idee gekommen ist, eine Geschichte zu schreiben von der Höllenfahrt Jesu Christi? Was mag der Grund dafür sein? Vielleicht, dass das Erdenleben Jesu schon genug Hölle war? Dass es schlimmer für ihn gar nicht hätte kommen können im Zusammenleben mit den Menschen. Mit den Menschen, die sich selbst täglich an die Stelle Gottes setzen und sich gegenseitig verteufeln. Mit den Menschen, wo einer des anderen Wolf ist. Ist das nicht schon das Reiches des Todes, wenn des einen Tod des anderen Brot wird?
 
Gestorben nach der Schrift. Ja, unseren Tod ist Jesus Christus gestorben Unseren Tod hat Jesus Christus an sich gebunden und all die tödlichen Fahrlässigkeiten, die uns tagtäglich unterlaufen. Gestorben nach der Schrift und auferstanden nach der Schrift.
 
Ja, schriftlich hat Gott uns seine Treue mitgeteilt, seine Treue zu den scheinbar vom Tode bedrohten Menschen und zu dem scheinbar tödlich gefährdeten Kosmos. Schriftlich besiegelt mit dem Blut Jesu Christi. Und wörtlich hat er ihn von den Toten auferweckt. Wörtlich, nicht bloß wiederbelebt oder gar reanimiert, so dass nur seine Seele wieder bei uns sei. Wörtlich, damit der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, damit er nichts mehr zu sagen hat, so geschwätzig er sich auch weiter geben mag. „Darum Kinder, lest die Heilige Schrift, lest die Bibel!“ hat meine Tante Martha gesagt und sie hatte Recht.
 
Bei den Gemeinschaften damals im Oberbergischen bestand ja der Verdacht, dass dort die fromme Seele sich selbst feierte und die eigene religiöse Erfahrung dann zum Maßstab allen Glaubens gemacht wird. Jener Verdacht, der übrigens auch nicht auszuschließen bei all den Gruppierungen, die es heute gibt, und die besondere Gotteserfahrungen für sich in Anspruch nehmen und dabei nichts anderes haben als verstümmelte Selbsterfahrung.
 
Nein, liebe Gemeinde, Christus ist nach der Schrift gestorben und nach der Schrift auferstanden und nicht nach irgendwelchen eigenen Erfahrungen. Und begraben, dieses Wort schreibt der Apostel Paulus ausdrücklich hinein in das alte Christusbekenntnis, dass er von den Vorgängern im Glauben empfangen hat. Schreibt es hinein, damit wir glauben, dass Jesus Christus wirklich tot ist. Tot mit Leib und Geist und Seele und dass die Liste abgeschlossen ist, die Liste derer, die besondere Erfahrungen mit dem Auferstandenen gemacht haben. Der Apostel Paulus ist der Letzte in dieser Liste.
 
Der Paulus, der ein Stotterer war, der niedergeschlagen und depressiv war und der die Christen deshalb einst verfolgte. Er, der geringste unter den Aposteln, der es nicht wert ist, ein Apostel zu heißen sagt: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Durch Gottes Gnade sind wir, die wir sind, liebe Gemeinde. Denn mit der Gnade Gottes, mit seiner Gnade greift der Auferstandene wörtlich die gnadenlose Welt an, die Welt in der des einen Tod des anderen Brot ist. In dieser Welt greift er im gebrochenen Brot und in der Frucht des Weinstocks nach unseren bröckelnden Leibern, nach unseren zugedeckten Gemütern und unseren verblendeten Köpfen. Er greift mit seiner Geschichte ein in die wirre Geschichte unseres Globus, der nur deshalb so quietscht und so eiert, weil er aus den Fugen geraten ist und sich nicht mehr halten kann in seinem Zustand angesichts der Zukunft des Auferstandnen.
 
Ja, liebe Gemeinde, und jetzt können wir wieder singen. Jetzt können wir uns dem Rausch des Osterfestes hingeben. Sie entschuldigen, bitte, die nüchternen Gedanken zum Osterfest, die ich ihnen vorgetragen habe Aber wir sollen uns ja nicht berauschen. Wie sagte doch meine Großtante Martha immer: „Kinder, lest in der Schrift!“. Sonst werden wir es nie glauben, dass das wahr ist, dass Christus auferstanden ist, dass er wahrhaftig auferstanden ist. Amen
 

Predigt zum Gedenkgottesdienst der Befreiung der KZs vom  31.01.2010
Predigttext: Psalm 31,9+1

Liebe Gemeinde,

die Psalmen haben eine Sprache für die Tiefen der Angst und des Glücks, sie haben aber auch eine Sprache für Momente, die uns sprachlos machen.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum!“ Welch ein Glück, mit den Füßen – auch mit denen der Seele – wieder frei ausschreiten zu können, so wie der Psalmbeter es sagt, wieder ins Offene hinaustreten zu können, tief durch zu atmen und selbst die Richtung wählen zu können, neuen Erfahrungen und neuen Begegnungen entgegen. Das Glück durchströmt den Beter wie neues Leben, wie die Enge ihm zuvor den Atem nimmt und seine Seele fast erstickt wäre. Ja endlich wieder ein weiter Raum für meine Seele, so scheint es der Psalmbeter ausdrücken zu wollen – welch ein Glück

Liebe Gemeinde, am Mittwoch der vergangenen Woche begingen wir den 27. Januar. Dieses Datum gilt als der Tag der Befreiung von Auschwitz. Und als solcher wäre er geeignet für einen nationalen Feiertag der Deutschen - er war es übrigens auch schon vor 1918 einmal, nur auf andere Weise: nämlich als „Kaisers Geburtstag“ war es ein nationaler Festtag für Glanz und Gloria des Deutschen Reiches und damit für die Anfänge deutschen Größenwahns. Welch eine Zeiten-, Schicksals- und Bewusstseinstiefe würde ein solcher Gedenktag aufreißen.

Doch es ist gerade dieser Tag, der es uns schwerer macht als alle anderen Gedenktage, denn mit ihm ist der Name Auschwitz verbunden. Und der Name Auschwitz verändert alles. Auschwitz ist wie ein Fluch und die Erinnerung führt uns in die tiefsten menschlichen Abgründe.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Der Psalmbeter erlebt Erlösung und Befreiung. Auch am 27. Januar 1945 sprechen wir von einer Befreiung. Aber was war das für eine Befreiung. „Seit ich befreit bin, fühle ich mich niedergeschlagener und verlorener als zuvor.“ schrieb Elie Wiesel, der Auschwitz überlebte.. Er hat den Tag der Befreiung im Konzentrationslager Buchenwald erlebt und er beschreibt ihn nicht als einen Tag des Glücks. So ist in seiner Autobiographie zu lesen:

Wir fielen uns aber nicht fröhlich in die Arme Wir jubelten und sangen nicht um unser Glück zu zeigen. Denn “Befreiung“ dieses Wort bedeutete nichts für uns. Wir waren nicht glücklich, denn wir waren von so vielen Toten umgeben. Ich suchte und suchte, ohne zu wissen, was ich suchte. Ich suchte jemanden zu dem ich sagen konnte: Siehe mich an, ich lebe. Wobei wir übrigens nicht wussten, was dieses Wort Leben bedeuten soll. Würde ich es jemals wissen.“

Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Für den Psalmbeter des 31 Psalms steht hier fest, dass er Gottes helfende Güte jubelnd preist , dass er aufatmet wie ein Gefangener, der seinen Kerker verlassen darf und der sich nun wieder auf freiem Raum bewegen kann. Im Psalm ist es der Jubel der Erlösten, ein wahres Danklied das hier zum Ausdruck kommt.

Doch konnten die, die 1945 die Befreiung in den Konzentrationslagern erlebten noch solch einen Jubel ausdrücken?

Allzuviele, Unzählige, sind vorher den Weg in die Vernichtung gegangen und nur allzuwenige haben den Tag der Befreiung noch lebend erreicht Von den wenigen, die ihn erlebten, diesen lang ersehnten unvorstellbaren Tag hatten viele am Ende keine Kraft mehr in ihren Füßen, um den Weg ins Freie zu gehen.

So trugen sie immense Lasten mit sich. Sie trugen unsägliche Verletzungen an Leib und Seele mit sich und fanden dafür dann auch draußen keinen Raum und keine Gesellschaft, die bereit gewesen wäre alle Kräfte der Versöhnung und Heilung aufzubieten, um ihnen den Weg in die neue Freiheit zu ebnen.

Im Gegenteil: Oft blieben ihre Erinnerungen überall unwillkommen und bis heute selbst zum Teil in Israel, tauschen die Überlebenden ihre Erinnerungen nur hinter verschlossenen Türen aus.

Und so steht der Name Auschwitz, liebe Gemeinde, für ein Grauen, für ein Grauen, das nicht zu bewältigen ist. Unsere Erinnerung wird nicht lernen damit umzugehen, wie sollte sie es auch können? Wie soll es gelingen und mit welcher Trauerarbeit überhaupt sollte dieses unabsehbare Meer der Trauer auszuschöpfen sein. Wie sollen wir dem Ausmaß dieser Vernichtung standhalten

Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“. Das ist, liebe Gemeinde, ein Wort glühender Sehnsucht. Und der Psalmbeter nicht obwohl, sondern gerade weil er sich mit all seiner Not von den Händen Gottes umfasst weiß, schüttet er Gott sein ganzes Elend in den Schoß und stellt neben seinen Lobpreis aber auch gleich die Klage

Es wird wichtig bleiben und ein Auftrag an uns alle, den wenigen Überlebenden noch ein Stück weiten Raum zu schaffen, einen Raum für ihre Füße und vor allem für ihre Seelen, dass wir ihre Klagen und ihre Schmerzen auch noch heute hören.

Und auch hier dürfen wir wieder von dem Psalmbeter lernen. „Ich bin vergessen in ihren Herzen wie ein Toter, ich bin geworden wie ein gebrochenes Gefäß und ich höre wie viele über mich lästern. Sie halten Rat über mich und trachten mir nach dem Leben

Es gibt nicht Schlimmeres unter uns Menschen als einander zu vergessen. Der Psalmbeter scheint eine Ahnung davon zu haben und weiß das heißt, vergessen zu werden

So klammert er sich in seinem Elend erst recht an seinen Gott, er befiehlt ihm sein ganzes Geschick, und er hofft darauf, dass er, Gott, es wende

Das Schicksal der Überlebenden des Holocaust wird mit jedem aus dieser Generation, der stirbt mehr und mehr der Vergessenheit anheim gestellt werden.

„Es ist die Erinnerungsfähigkeit die Menschen erst zu Menschen macht“, so sagt es Aleida Assmann. So könnte der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz ein solcher Tag werden, ein Tag gegen das Vergessen, gegen die Gleichgültigkeit den Überlebenden gegenüber. Ein Tag, der verhärtete Herzen öffnet, der Schuld zur Sprache bringt und der Scham überwindet. Ein Tag der Erinnerung, der die verwundeten Füße und Seelen auf einen weiten Raum stellt.

Bei Gott jedenfalls findet die Seele ihren Zuspruch. Bei ihm dürfen wir gewiss sein, dass er uns und alle, die darunter leiden, nicht allein lässt. Amen

Werner Zupp, Pfarrer


Predigt über Johannes 14, 1 (Jahreslosung 2010) zu
Silvester, 31.12.2009, Marktkirche, Neuwied

 
Jesus Christus spricht:
Euer Herz erschrecke nicht.
Glaubt an Gott und glaubt an mich.      
(Johannes 14,1)

Was ist das neue Jahr für Sie , liebe Gemeinde, ein offene Tür, hinter der allerhand Überraschungen warten, hinter der spannende Entwicklungen, ungeahnte Chancen und Herausforderungen vor uns stehen?
Oder tut sich Ihnen mit dem neuen Jahr ein düsterer Horizont auf, voller Unwägbarkeiten und Befürchtungen?
Haben Sie gute Vorsätze gefasst? Oder finden Sie auch, dass gerade damit der Weg zur Hölle gepflastert ist?
 
„Euer Herz erschrecke nicht!“ Ja, fürwahr zum Erschrecken gab es im letzten Jahr genug Grund. Manche fürchteten um ihre Besitztümer, andere um ihr schieres Überleben. Und so wuchsen im vergangenen Jahr die unterschiedlichsten Ängste und Sorgen , selbst in unseren meist wohlgeordneten Verhältnissen. Zu viele Maulhelden waren unterwegs und entpuppten sich als üble Rattenfänger, die Angst vor Gewalt an unseren Schulen, wenn wir nur an Winnenden denken, wurde bestätigt und auch weltweit beruhigte sich der Terror nicht. Kaum etwas geschah, was uns auf lange Sicht Mut machen konnte. So werden heute nicht wenige Menschen –  allen Partys und Feuerwerken zum Trotz - bang in die Zukunft blicken, einige vielleicht sogar mit dem dumpfen Gefühl, von allen guten Geistern verlassen zu sein.
 
„Euer Herz erschrecke nicht.“ dieser Satz drängt uns gewissermaßen dazu, zu  fragen, was uns denn persönlich an der Schwelle dieses neuen Jahres erschreckt und ängstigt: Was wird in den kommenden 12 Monaten geschehen?  Was wird geschehen in der Welt der Politik und Wirtschaft, aber eben auch und ganz besonders in unserem eigenen Leben. Welches Leid wartet auf mich? Wird es Zeiten der Trauer geben? Werde ich gesund bleiben?

„Euer Herz erschrecke nicht.“ Wir stehen an der Tür des beginnenden Jahres und fühlen uns wie ein ängstliches Kind. Die Tür ist noch geschlossen, finster und ein wenig unheimlich. Und wir wissen nicht, was dahinter liegt? Helles oder Dunkles? Schönes oder Leid? - Und wir zögern noch, die Tür aufzutun und einzutreten. Denn es ist nicht leicht, das alte Jahr zu verlassen und hinüberzugehen ins unbekannte, neue.
Lassen sie uns das Bild von der Tür aufnehmen und es noch weiter ausmalen. Vielleicht hilft uns das, von allem frei zu werden, was unsere Schritte hemmt und uns das Herz so beklommen macht. Vielleicht kann das unseren Glauben kräftigen, unser Vertrauen stärken und uns Hoffnung schenken, dass wir fröhlich und ohne Angst hinüber treten können ins neue Jahr?

Das Bild, das ich vor Ihre inneren Augen stelle, ist das eines großen Hauses mit vielen Türen und vielen Zimmern, die hinter diesen Türen liegen. Es ist das Bild unseres Lebens, das ich Ihnen male. Wir - jede und jeder von uns - gehen durch dieses Haus mit den vielen Räumen – unser Lebenshaus. Und wir öffnen eine Tür nach der anderen, 60-, 70-, 80- oder gar 90mal tut sich eine neue Tür auf für uns, wenn Gott will. Dann durchschreiten wir die unbekannten Zimmer dahinter. Wir nehmen in uns auf, was jeder Raum an Gutem und Schwerem für uns bereithält. Wir halten uns ein ganzes Jahr in ihm auf und stehen dann, wenn wir alles im Zimmer kennen gelernt und erfahren haben, an einer weiteren Tür.

Heute soll sie sich öffnen, die Tür zum neuen Jahr. Aber wir zögern noch. Was werden wir sehen, wenn sich der Türspalt weitet? Wird der neue Raum Glück und Freude bereithalten? Werden Trauer und Schmerz auf uns warten? Wem werden wir begegnen? Von wem werden wir Abschied nehmen müssen? Und die bedrängendste Frage:
Wird es auf der anderen Seite des Zimmers für uns noch eine weitere Tür geben?
Schauen wir uns, bevor wir die nächste Tür öffnen und über die Schwelle gehen, noch einmal in dem Zimmer um, das wir bald verlassen werden. Es ist gut, wenn man den Blick noch einmal schweifen lässt und das ein oder andere in der Erinnerung einprägt und vielleicht in Gedanken mitnimmt oder geordnet zurücklässt, bevor man weitergeht.
Ganz hinten, auf der anderen Seite des Raums, den wir verlassen wollen, stehen all die guten Vorsätze, die wir vor 12 Monaten gefasst haben. Dies und das wollten wir lassen. Diesen oder jenen wollten wir besuchen. Ja - so war es unser wichtigster Vorsatz - unser ganzes Lebens sollte mehr Tiefe bekommen. - Was ist wahr geworden davon?
Wir hatten vor, mehr aus dem Wort Gottes heraus zu leben, zu denken, zu arbeiten, zu entscheiden ... Wir wollten Gott, endlich bei uns mehr Platz und mehr Bedeutung in unserem Leben einräumen. So wie es ihm ja auch zusteht.
Unseren Eigensinn wollten wir zurückdrängen, unsere ewige Ichsucht. Ein bisschen mehr für andere leben wollten wir, Frucht tragen für die Nächsten.
Was hat sich davon erfüllt? Was hat uns wirklich von diesen Vorsätzen in den vergangenen 365 Tagen bestimmt und begleitet?

Dort drüben, mitten im Licht des Raumes, erkennen wir auch all die frohen Erlebnisse des vergangenen Jahres; die hat es ja auch gegeben. Die gelungenen Stunden, die Freude, das Glück: Die Erfahrungen der Liebe zu einem Menschen, die guten Worte, die wir gewechselt haben, die Hilfe, die uns zuteil wurde, oder der überraschend gute Ausgang einer Sache, die uns erst so viele Sorgen gemacht hat. Die Zusage, die unsere berufliche Zukunft öffnete, das gesunde Kind, der Enkel, der uns geschenkt wurde ...
Dorthin, wo all diese schönen Dinge stehen, schauen wir gern. Das hat uns froh gemacht und unser Herz leicht und frei.. Tage waren das, an denen wir gern gelebt haben und glücklich waren. - Haben wir eigentlich immer für alles gedankt, was wir da empfangen durften? War uns das ein Lob des Gebers aller guten Gaben wert, oder ist uns vieles davon nicht als unser eigenes Verdienst erschienen? Erfolge, die uns doch zustanden, unsere Arbeit, unsere Leistung!

Und wenn es doch anders war bei uns, wo hat uns die Dankbarkeit so bewegt, dass wir dann weitergeschenkt haben, was wir erhalten hatten? Aber hat der Geber aller guten Gaben nicht vielleicht gerade das bei uns erreichen wollen: Dass wir weiterschenken, was er uns gibt? Ja, waren wir ihm das nicht eigentlich schuldig, dem Gott aller Güte, dem Herrn unseres Lebenshauses?
 
Und da drüben, an diese düstere Wand, da haben wir all die schlimmen und belastenden Erlebnisse des vergangenen Jahres gestellt. Dorthin zu blicken, fällt uns nicht leicht. Da war die schwere Zeit, in der es uns so schlecht ging und wir nicht wussten, wie es weitergehen soll. Es hat uns die Luft abgedrückt und unser Glaube wäre fast dem Zweifel gewichen. Dort sind auch all die bösen Momente des vergangenen Jahres: Die Minuten der Angst, die Stunden der Schwermut, die Augenblicke des Ärgers, des Zorns, der Wut ...

In jedem Raum, den wir bis heute durchmessen haben, blieb auch Schlimmes und Dunkles zurück. Immer war das so. Aber: Wollten wir nicht auch das Schwere aus der Hand Gottes nehmen? Wollten wir nicht alles, was uns widerfährt, vor ihm bedenken, seine Stimme darin hören Und wollten wir nicht alles, was wir erleben, auch im Gebet vor ihm ausbreiten, vor seinem Wort prüfen und darin Hilfe und Weisung empfangen?
Euer Herz erschrecke nicht.“ - Wieder stehen wir an einer neuen Tür und hinter ihr wird es wieder so sein: Wir werden Dinge, Erfahrungen und Erlebnisse vorfinden - wir werden ihnen begegnen müssen, mit ihnen umgehen und mit ihnen fertig werden müssen. Jetzt ist der Augenblick da, dass wir die Tür auftun. Haben wir genug Mut dazu?
„Glaubt an Gott und glaubt an mich“, sagt Jesus. Wir öffnen also die Tür zum neuen Jahr im Glauben und im Vertrauen auf Gott und auf unseren Herrn Jesus Christus. Gewiss, alles was uns begegnen wird, ist noch unbekannt und offen hinter der Schwelle zum Neuen. Nichts ist schon sicher und fest, so dass wir uns darauf verlassen könnten. Nur das eine ist felsenfest und sicher: „Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Der Herr des Hauses, der uns in seiner Güte heute einen neuen Lebensraum öffnet, er will bei allem mit dabei sein! Er bietet uns heute seine Hand zur Begleitung an. Er schenkt uns mit dem neuen Jahr erneut die Chance, seine Wahrheit zu begreifen und gibt unserem Leben einen neuen Anfang. 

Alles ist noch offen hinter der Tür. Und es kommt darauf an, was wir mit dem, was wir vorfinden, tun, mit welcher Haltung wir ihm begegnen. Der Glaube an die Güte Gottes, das Vertrauen auf seine Gnade und Geduld werden uns helfen!
Wir haben die Klinke schon in der Hand. Gleich werden wir sie herunterdrücken
365 Tage misst das neue Zimmer, in das wir gleich eintreten werden.  An jedem dieser Tage will Gott bei uns sein vom Morgen bis zum Abend. Mit ihm können wir den neuen Raum ganz getrost betreten und durchschreiten. Ihm gehört das ganze Haus. Er hat es uns überlassen für die Jahre unseres Lebens. Es wird an uns liegen, ob wir ihm den Platz darin geben, der ihm zusteht!
Wo er mit uns lebt und arbeitet, da weicht alle Furcht und aller Schrecken. Es ist ein sicheres Gehen an seiner Seite. Und auch die Schuld, die wir immer wieder neu auf uns aufladen, tragen wir nicht allein. Er nimmt sie uns ab, wenn wir ihn darum bitten.
Wenn wir im kommenden Jahr auch dunkle Stunden erfahren müssen, werden wir nicht allein sein. Mit der Hilfe Gottes können wir alles bestehen, was uns erwartet. Und selbst wenn wir aus diesem Haus in ein anderes gehen müssen, Gott verlässt uns nicht. Er begleitet uns und hat das neue Haus, des ewigen Lebens für uns bereitet - durch Jesus Christus, unseren Herrn, der uns heute zusagt: Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.
 
Amen
 

Predigt zu Titus am Heiligen Abend, 24.12.2009
Marktkirche Neuwied

Liebe Gemeinde,
 
"Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen" - das ist der Beginn des Bibelwortes aus dem Titusbrief, das für den heutigen Heiligen Abend ausgewählt ist.
"Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen" - doch sie erschien nicht in einem Palast, auch nicht in einem Tempel, nicht in einem Gotteshaus oder an einem sonst ganz besonders heiligen Ort – nein, die heilsame Gnade Gottes, sie ist in einem armseligen Stall, vermutlich in einer Bruchbude erschienen, windig und nicht ganz geruchsneutral.
Die heilsame Gnade Gottes – sie musste dort den Menschen erscheinen, weil ihr sonst kein Raum gegeben wurde. "Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge", heißt es kurz und bündig dazu in der Weihnachtsgeschichte. Nirgends ist in der Bibel von jenen die Rede, die ihre Türen verschlossen hielten für die Geburt Jesu, von den Einwohnern und den Wirten der Herbergen in Bethlehem.
 
Zum Beispiel der Wirt, bei dem Maria und Josef zuletzt um Unterkunft gebeten haben, von ihm haben wir übrigens eben in unserem Familiengottesdienst erzählt. Er bot Maria und Josef statt einem Zimmer seinen Stall an.
 
Hätten wir anders gehandelt als er. Hätten wir die heilige Familie freundlich begrüßt und ihnen statt dem Stall ein warmes Bett angeboten. Hätten wir alles auf die Beine gestellt, damit das Jesuskind angemessen aufgenommen würde!
 
Wäre Jesus bei uns geboren, so glaube ich, wäre es ihm kaum anders ergangen als damals. Denn welchen Platz sind wir heute bereit, dem einzuräumen, in dem die heilsame Gnade Gottes sich zeigt?
 
Nein, liebe Gemeinde, wir brauchen nicht die Nase zu rümpfen über den Wirt. Denn so manche(r) wird sich selbst in ihm, dem Wirt wieder finden: auch wir können und wollen oft nicht erkennen, wie mir Gottes heilsame Gnade begegnet. Vor lauter Betrieb und Geschäftigkeit, vor lauter Sorge um mich selbst, lassen wir den vor der Tür stehen, in dem Gott zu uns kommen will.
 
Stellen wir uns einmal vor, der Wirt hätte etwas von dem mitbekommen, was sich in dieser Nacht in seinem Stall zugetragen hat und er wäre – wie wir heute Abend – zur Krippe gekommen, um doch etwas davon mitzubekommen, was sich da dem Hören nach ereignet hat. Ich glaube, unser Wirt hätte etwas gespürt von dieser heilsamen Gnade Gottes, die da erschienen ist in dem kleinen Kind, zu dem er in die Krippe geblickt hätte. Spürbar wäre ihm diese heilsame Gnade geworden, auch wenn er sich zunächst nicht so richtig getraut hätte, weil er sich zu schäbig vorkam. Denn schließlich musste dieses göttliche Kind ja seinetwegen in einem Viehstall zur Welt kommen.
 
Aber das ist es ja gerade – die heilsame Gnade Gottes, die uns nicht festnagelt auf das, was wir getan oder unterlassen haben. Die heilsame Gnade Gottes: sie fixiert uns nicht auf unsere Selbstbezogenheit und Eigensucht, auf unsere Trägheit oder auch Bosheit. Und genau darum ist sie auch heilsame Gnade!
 
Die heilsame Gnade Gottes! Erschienen den einfachen Hirten ebenso wie den Weisen. Erschienen den Menschen damals, als der Stern hell den Weg zum Stall wies. Erschienen den jungen Gemeinden, an die sich der Predigttext aus dem Titusbrief wendet. Erschienen seither so vielen Menschen und auch erschienen uns heute, an diesem Heiligen Abend 2009. Die heilsame Gnade Gottes ist zu allen Menschen gekommen, damals wie heute. Darum braucht sich auch niemand zu verstecken, denn allen hat sie sich gezeigt, nicht nur den Frommen und den Rechtschaffenen.
Sie ist erschienen den Liederlichen und den Eigensinnigen, den Säufern und den Schlägern, denen, die rücksichtslos Gewinn machen oder in die eigene Tasche wirtschaften, Sie ist erschienen denen, die der Gier verfallen sind, ebenso wie denen, deren Herz voll Bosheit, Neid und Hass ist.
 
Der Titusbrief führt eine recht zweifelhafte Gesellschaft von Menschen an, denen die Gnade Gottes erschienen ist. "Allen" Menschen heißt es da ganz pauschal und also sind auch solche Zeitgenossen mit eingeschlossen.
 
Und wir? Wir können ruhig hinzukommen und uns zu ihnen einreihen, denn wie gesagt: Allen gilt diese heilsame Gnade Gottes. Keiner kann einen anderen von dieser Gnade aussperren und jedem Menschen will sich diese heilsame Gnade zeigen. Auch wenn uns nicht alle sympathisch sein mögen, die da zur Krippe kommen, so heißt das doch umgekehrt, dass wir jedenfalls nicht außen vor bleiben müssen, sondern wir dürfen kommen, wir dürfen staunen, uns berühren und verändern lassen von dieser heilsamen Gnade Gottes. Und wir haben sie nötig diese heilsame Gnade, – mehr denn je nötig in unserer unheilvollen und gnadenlosen Zeit. Denn gnadenlos ist der Umgang in unserer Gesellschaft, aber auch gnadenlos sind wir oft genug zu uns selbst. Sogar in unseren Familien und Freundeskreises ist manches an offener und subtiler Aggression und Gewalt zu spüren, auch wenn wir davon gerade heute nichts wissen wollen.
 
Gnadenlos ist unsere Zeit geworden: Da ist der Mann mit 55, der mir vor wenigen Tagen begegnet, seit dreißig Jahren in ein und derselben Firma, nun ist er zum Kostenfaktor geworden, wird wegrationalisiert; über kurz oder lang auf Hartz IV gesetzt, denn eine neue Stelle in diesem Alter ist wohl aussichtslos.
Da ist Raphael aus dem Kongo, der bei mir vor einigen Wochen am Samstagabend im Büro sitzt, nur in der Dunkelheit wagt er sich auf die Straße – aus Angst vor Abschiebung und Verfolgung. Jetzt wird er dorthin wieder abgeschoben, denn Gnade können wir uns nicht leisten – wo kämen wir denn hin! Und schon in der Schule gilt, dass so etwas wie Mitleid oder Erbarmen memmenhaft sei und dass Stärke und Coolness allemal mehr wert ist, als Freundlichkeit und Entgegenkommen.
Keiner darf einfach nur so sein, wie er oder sie ist. Jeder muss sich beweisen, sich selbst rechtfertigen und verteidigen. Darum sind wir auch zu uns selbst oft so gnadenlos, können uns nur schwer einen Fehler verzeihen, müssen uns ständig unsere Defizite um die Ohren hauen – weil andere doch so viel toller sind – und wir können oft nur noch schwer zu dem stehen, was wir wirklich sind. Wir müssen uns permanent selbst erschaffen, und genau das macht uns zu schaffen.
 
Heilsam ist dagegen die Gnade Gottes, die da erscheint. Heilsam schon allein darum, weil die Gnade uns so nimmt, wie wir sind. Sie bestätigt nicht unsere Bosheit und Falschheit, gibt weder Hass noch Lüge recht, aber sie verwirft uns auch nicht, sondern kommt zu uns.
Und in Jesus ist sie greifbar geworden, in ihm können wir sehen, was sich verändert, wenn Menschen Gottes heilsamer Gnade begegnen. Ich denke da an Zachäus, den Zöllner oder an den nervigen Blinden mit Namen Bartimäus, der sich einfach nicht abschütteln ließ.
Prostituierte und Superfromme, Ehebrecher und politische Eiferer, Ausgestoßene und Fremde – alle suchten seine Nähe und durften sich von seiner Nähe verwandeln lassen. Jesus zeigte ihnen und zeigt uns einen anderen Umgang miteinander. Er schenkt uns einen neuen Blick auf unsere Beziehungen, untereinander, zu uns selbst und zu Gott.
Weil er uns nicht bei unseren Schattenseiten behaftet, können wir loskommen von den Anstrengungen, uns selbst zu produzieren, können wir uns frei machen von den Bemühungen zu demonstrieren, wie gut wir doch eigentlich sind, und können heil werden von allen Versuchen, uns selbst zu rechtfertigen. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes: eben keine neue Forderung, sondern Geschenk! Und was für eines! Ein Geschenk, das uns mit einer ganz besonderen Absicht gegeben wird. Ein Geschenk, das uns sagt: Du bist wichtig und wertvoll trotz all deiner Schattenseiten! Und gerade damit ist es ein Geschenk, das uns frei macht, uns zu verändern.
 
So könnten wir unsere Geschenke heute Abend ja auch übergeben: Hier, nimm, für dich; einfach so, weil ich dich mag, schenke ich dir das. Weil ich dir eine Freude machen will, weil du so, wie du bist, wertvoll für mich bist. Und vielleicht erinnern wir uns beim Auspacken an das große Geschenk Gottes, das uns heute gegeben wird.
Dieses Geschenk Gottes will uns dazu anleiten, nicht gottvergessen zu leben, sich nach seinen guten Regeln für das Leben auszurichten und sich frei zu machen von allem, was uns gefangen hält. Wir werden auf die Hoffnung verwiesen, dass eines Tages Gottes Maßstäbe für das Leben sich auf der ganzen Erde durchsetzen werden und die heilsame Gnade Gottes alles umfassen wird.
 
Lassen wir es für heute bei diesem einen Satz! "Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen." Nehmen wir dieses kostbare Geschenk mit nach Hause, in unsere festlich geschmückten Wohnzimmer. Dort dürfen wir es voller Ungeduld auspacken und uns gemeinsam darüber freuen.
 
Mein Wunsch ist, dass wir es dann nicht gleich wieder beiseitelegen, sondern hinübernehmen in die Zeit nach dem Fest, wenn der Alltag wieder beginnt. Denn vor allem im Alltag ist dieses Geschenk zu gebrauchen: die heilsame Gnade Gottes, die uns heute erschienen ist.
 
Amen

 


 

Predigt über Matthäus 25, 1-13, zum Ewigkeitssonntag
am 22. November 2009, Marktkirche , Neuwied

Liebe Gemeinde,
in diesem Gleichnis geschieht genau das, was wir kennen: drinnen die Guten, draußen die Schlechten. Links die Böcke und rechts die Schafe. Die Sieger oben und die Verlierer unten. Drinnen die Erwählten und draußen die Verworfenen. Die einen im Licht und die im Dunkel sieht man nicht. 
Drinnen im Hochzeitshaus tafeln fünf junge Frauen mit dem Bräutigam. Sie lachen und singen, sie speisen festlich und tanzen ausgelassen. Die anderen fünf Frauen, die sich gefreut und mit den fünf gewacht zu haben, aber leider vergaßen, ausreichend Öl zu besorgen, stehen vor der verschlossenen Tür.
So, lb. Gemeinde, ist der Lauf der Welt. Das ist der Alltag, das ist normal. Du bist draußen und bist selber schuld.
Heute sind viele unter uns, die auch vor verschlossenen Türen und im Dunkeln sitzen. Menschen unserer Gemeinde haben wir mit ihnen im vergangenen Jahr beerdigt. Und so sind viele unter uns, für die genau das eben Beschriebene Realität ist. Sie kommen sich vor wie Bestrafte. Drinnen wo es hell und warm ist, da wären sie gern mit dabei. Aber es öffnet keiner wenn sie an die Tür klopfen und gar an ihr rütteln. Vielleicht ist auch der Schlüssel für die Tür zum Leben und zur Freude verloren gegangen. Sie finden ihn nicht. Der Tod eines lieben und nahen Menschen hat ihnen die Tür zugeschlagen. Sie haben Leiden gelindert, Schmerzen mitertragen, getröstet, sind von Arzt zu Arzt gelaufen – und am Ende diese schreckliche Hilflosigkeit. Nichts mehr tun zu können, gar nichts mehr. Ohnmächtig zu sein bei vollem Bewusstsein. Sie haben Tag und Nacht gewacht und dann war alles zu spät. Umsonst. Der Tod hat sie bestraft. Die anderen sind im Licht. Und die im Dunkeln sieht man nicht.
Sehen wir auf das Sterben so müssen wir sagen: Es gibt das zornige Sterben im Aufruhr, das Festhalten des Lebens, die  Unfähigkeit loszulassen.
Es gibt das enttäuschte Sterben, in der Klage über das viel zu frühe Ende, über den nicht gefundenen Frieden in der ungestillten Sehnsucht, vor dem Schließen der Augen doch noch den Familienstreit zu beenden. Und es gibt das anonyme Sterben, das so sehr unter uns zunimmt. Menschen von Menschen verlassen. Die Trauerfeier nur noch mit dem Pfarrer und dem Beerdigungsunternehmer allein. Die Beisetzung auf dem grünen Rasen, kein Name, kein Kreuz, keine Erinnerung. Ausgelöschtes Leben. Es nimmt zu, dass die einen drinnen das Fest des Lebens feiern und die anderen draußen vor der Tür bleiben. Und die im Dunkeln sieht man nicht.
Aber es gibt da auch das Sterben mitten in unserem Leben: Die Mutter die vor dem rebellischen Sohn kapituliert, der ihr ihre Opfer an Liebe und Nerven um die Ohren schlägt. Der sich der Fürsorge der Mutter entzieht, die Türe hinter sich zuschlägt und für immer aus dem Haus verschwindet. Der Alkoholiker, der es nicht schafft, trocken zu werden und der die Seinen mit in den Sumpf zieht. Der Ehepartner der sich nicht ändern will und kann und wo dann die Trennung immer wahrscheinlicher wird. Die Opfer der Krieges, die mit Gott hadern, ihn anklagen und ihn als Katastrophengott verfluchen. Sterben mitten in unserem Leben.
Überall das Warten auf Leben und es kommt nicht. Die sehnsuchtsvollen Augen gehen nach drinnen zum Fest des Lebens, wo gelebt und gefeiert, getanzt und gelacht wird. Aber die Türen sind verschlossen und so viele bleiben außen vor.
So geht es im Leben zu. So ist das Leben. Wie in der Geschichte der Hochzeit. Da sitzen die fünf jungen Frauen drinnen und feiern. Und die anderen fünf sind draußen. Sie rütteln an der Türe und kommen nicht rein. Und da soll der Bräutigam gesagt haben: „Ich kenne euch nicht!“
Was ist das für ein Mensch, der so handelt? Vielleicht geht es ihnen wie mir, ich bin irritiert und erschrocken. Ich kenne zwar solche Menschen zur genüge auch in der Kirche. Sie wirken drohend und abweisend. Sie handeln wie Oberlehrer.
Kein Öl in der Lampe? Selber schuld! Das Pensum nicht erfüllt? Note mangelhaft! Es zählen nur die Tüchtigen, die Erfolgreichen, die Leistungsstarken. Den anderen gilt: „Weg mit euch!“ Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Wie im Märchen so auch im Leben und leider auch oft in unserer Kirche. Und am Ende des Gleichnisses, so wie Matthäus es erzählt, keine Chance auf Bewährung : „Ich kenne euch nicht.“
Liebe Gemeinde, ich denke, wir kennen einen, der die Geschichte so nicht zu Ende sein lässt, sondern ganz anders weitererzählt. Er ist es, der alles am eigenen Leibe erfuhr, die Zweiteilung, die unbarmherzige Scheidung in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß. Und am Ende war sein Platz auch außerhalb des Lebens, außerhalb der Stadtmauern, auf einem Hügel der Unreinen und der Verbrecher, genannt Golgatha, übersetzt Schädelstätte. Zu ihm, zu Jesus, haben sie dauernd gesagt. „Wir kennen dich nicht!“
Aber er - er arbeitet nicht mit Drohungen, nicht mit Strafen und Verurteilungen. Er ist vielmehr interessiert an den Menschen draußen vor den Türen, er ist interessiert an der
Sehnsucht, er ist interessiert an den Zuspätkommenden, an all denen, die Hunger haben nach und Leben und Freude. Darum erzählt er gegen seine und unsere Erfahrungen die Geschichte so zu Ende.
Plötzlich klopft es an die Tür zum Festsaal. Es geht hoch her im Festsaal. Das Klopfen wird heftiger und lauter. Da wird es plötzlich ganz still im Saal. Die fünf jungen Frauen drinnen sind erschrocken. Sie sehen auf den Bräutigam und bestürmen ihn und sagen: Tu ihnen auf, Herr, Sie gehören doch auch dazu. Wir wollen abgeben, von dem was wir genießen. Wir wollen die Freude teilen. Hier, wo du bist, ist Wärme, Freude, Musik und Lachen für alle. Der Bräutigam lächelt und sagt: Habe ich nicht alle zehn zur Hochzeit eingeladen? Gehören nicht alle dazu ?  Und dann steht er selber auf, geht zur Türe, öffnet sie und ruft: „Kommt herzu, ich kenne euch alle, alle mit Namen!“
Zwei Geschichten. Welche der beiden Geschichten ist richtig?  Welches Ende soll die Geschichte bei uns haben ? Das bleibt bei beiden Erzählern, Matthäus und Jesus, offen ? Kommt es zum schlechten oder zum guten Ende, zum Ausschluss oder zur Einladung ? Soll Recht oder Gnade walten ? Ewige Trennung oder Dazugehören ? Die Antwort geben wir mit unserem Leben und mit unserem Glauben.
Ich entscheide mich für Jesus. Ich entscheide mich gegen den Satz. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ich entscheide mich für den, der gesagt hat: „Es gibt kein „Zu spät!“ Ich entscheide mich für den, der gesagt hat: Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils. Für alle ist noch Zeit der Gnade denn die Gnade kennt kein „Zu spät !“ Und mit meinem Leben möchte ich diesem Jesus Antwort geben. Lb. Gemeinde, dieser Jesus ist mehr als nur ein Weltenrichter über die gottlose Welt, und er ist auch kein Scharfmacher gegen die Unfrommen; er ist nicht gegen die zornig Gestorbenen und auch nicht gegen die, die am Leben verzweifelten. Er hat für alle gelebt , er hat alle geliebt und ist für alle gestorben
Er steht an allen Türen unseres Lebens und auch an der letzten Tür und ruft: „ Kommt herein, ich kenne euch alle, ich kenne euch mit Namen!“ Er hat den Tod in sein eigenes Leben hinein genommen und ihn als Auferstandener entmachtet. Er hat gegen den Kältestrom des Lebens und des Todes gelebt und uns alle in die Wärme der Gegenwart Gottes eingeladen. Ihm können wir Antwort geben mit unserem Leben, unserem
Glauben, unserer Aufmerksamkeit und unserer Liebe.
Wir antworten ihm, wenn wir die Trauernden bis in die Zimmer der Verstorbenen begleiten, vielleicht sogar bis an die Kleiderschränke begleiten, deren Türen die Kleidung der Toten noch verschließen. Sie wagen sie oft nicht zu öffnen.
Wir sind als Türöffner zum Leben ausersehen und begabt. Viel mehr als wir oft denken und uns zu trauen. Wir können Schritte mit den Müden, den Geschlagenen, den Zornigen und den Gelähmten gehen und sie sanft aus ihrem Gefängnis der Trauer führen. Vielleicht können wir vom Schatz eigener Trauerer- fahrungen abgeben und in eine versöhnte Trauer aufbrechen
Wann die Stunde versöhnter Trauer kommt, wissen wir nicht. Aber wir können die dunklen Wege mitgehen, so dass wir gemeinsam erleben, dass das Leben keine Irrfahrt, sondern ein Heimweg ist. Wir können uns zusammentun und gemeinsam hören:“ Kommt her, denn ich kenne euch alle, alle mit Namen“
Vielleicht wird dann für den ein oder anderen die Mitte der Nacht zum Anfang eines neuen Tages, vielleicht erhebt sich aus dem Dunkel das Licht, vielleicht weichen dann die Schatten der Angst.
Wir werden gleich die Namen unserer Verstorbenen verlesen und werden es im Vertrauen auf den tun, der uns einlädt und sagt: Kommt herein, ich kenne euch alle, alle mit Namen. Wir werden Kerzen anzünden und sie nahe heran das Licht der Osterkerze, das Licht der Gnade Gottes, stellen. Wir tun das, damit Gottes Licht in die Dunkelheit leuchtet und wir alle zu solchen werden, die seine Einladung zum Leben hören: Kommt her, ich kenne euch alle, alle mit Namen. Amen

 
Predigt zum Festgottesdienst anlässlich des 125 jährigen Bestehens der Kantorei an der Marktkirche, 28.06.2009
 
Liebe Festgemeinde!
Liebe Sängerinnen und Sänger der Kantorei und des Neuwieder Konzertchores!
 
Ich kann nicht singen! Das ist eine Behauptung von der ich denke, dass viele von Ihnen diesen Satz schon gehört haben, wenn sie andere versucht haben, in die Kantorei einzuladen und Thomas Schmidt hat diese Ausrede als Kantor sicherlich auch schon oft gehört.
Ich stelle heute Morgen als Musiklaie eine Gegenbehauptung auf und die lautet: „Singen ist eine Gabe Gottes, die jedem Menschen geschenkt wurde.“
Ich werde versuchen, dies zu beweisen. Wie kommt man eigentlich dazu, zu behaupten: Ich kann nicht singen! Eines ist klar, es ist dies eine Feststellung, die auf Erfahrung basiert. Da ist einem von zu Hause aus, von klein auf gesagt worden, dass man nicht singen könne oder in der Schule mussten die Klassenkameraden den Raum verlassen, wenn man vorsang. Das sind Erfahrungen, die man vielleicht gemacht hat und die sich dann in einem festgesetzt haben.
Und doch möchte ich sie fragen: Was machen sie, wenn sie alleine sind in der Badewanne, in der Küche oder bei sonst irgendeiner Arbeit?  Singen Sie, die sie behaupten, sie könnten nicht singen, Singen Sie dann nicht auch?
Aber ich will die Behauptung, man könne nicht singen ernst nehmen, denn derjenige, der das sagt bei dem klingen Trauer, Enttäuschung und Resignation mit an.
Gehen wir deshalb dem Gedanken nach, was Singen eigentlich ist. Nicht alles kann gesungen werden „Im rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Fläche der beiden Kathetenquadrate gleich der Fläche des Hypotenusenquadrates“. So lautet ein Satz aus der Geometrie. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass ein solcher Text gesungen würde. Warum eigentlich? Die Antwort ist ganz einfach: Ein Mensch kann keine Informationen singen. Ein Mensch singt, wenn ihm etwas auf dem Herzen liegt. Die Engel, bei der Geburt  Jesu, wir haben es soeben noch einmal gehört, sie sangen, weil ihnen etwas auf dem Herzen lag, wenn man dies überhaupt von Engeln sagen kann. Die Engel sangen vor Freude, sie sangen vor Freude, dass der Retter der Welt, dass Gott, für uns da ist.          
Vielleicht haben wir Menschen es von den Engeln der Weihnachtsgeschichte gelernt, dass man singt, wenn einem etwas auf dem Herzen liegt. Das aber ist nicht immer nur Freude und nicht immer nur Dank, wie bei der Geburt Jesu. Das ist nicht  immer nur dankbarer Jubel, wie in einem Liebeslied. Singen, liebe Gemeinde, das kann auch der Ausdruck von Klage sein.
Die Trauer,zum Beispiel, lässt einen über den Schmerz, über die Lücke, die der Tod gerissen hat, in einem Lied das  Klagen anstimmen
Es liegt einem etwas auf dem Herzen, was man nur durch Singen ausdrücken kann, weil das einfach Gesagte zu wenig ausdrückt, von dem, was man fühlt. Und dann singt man auch, wenn man Angst hat. Die Psalmen in unserer Bibel sind übrigens dafür ein gutes Beispiel. Viele von ihnen sind Lieder, die gesungen wurden in extremen angstvollen und hoffnungslosen Lebenssituationen. Lieder werden dann zu einem Mutgesang, in dem ich das, was mir auf dem Herzen liegt, aus mir heraus singen kann.
In einem Lied und im Singen kann ich also Gefühle ausdrücken, die ich gar nicht oder nur schwer sagen kann. und das braucht jeder Mensch. Wir müssen unserem Herzen Luft machen können und das geschieht im Singen. Dabei kommt es nicht auf den richtigen Ton und auch nicht zuallererst auf den Text an. Es kommt allein darauf an, dass das Singen seinen Zweck erfüllt. Dieser Zweck ist die Freude, den Jubel aus dem Herzen heraus zulassen. Es ist die Suche nach Trost und das Aussprechen der Klage. Der Zweck des Singens ist auch die Angst zu überwinden und wieder neuen Mut zu finden.
Odä – so heißt das griechische Wort für Singen und Gesang. Es beinhaltet noch eine andere wichtige Funktion des Gesanges –  danach ist Singen auch die Weitergabe von etwas. Es ist mir etwas ins Herz gegeben und ich bin Träger einer Botschaft und die muss ich los werden, sonst breche ich an ihr entzwei. Der, der diese Botschaft ins Herz legt, das ist Gott, so drückt es das griechische Wort aus. Und somit bin ich, wenn ich singe, Träger einer göttlichen Botschaft. Auch dabei kommt es wieder nicht auf den richtigen Text und den richtigen Ton an, sondern es kommt darauf an, dass ich es weitergebe und das kann jeder, ja, das muss sogar jeder tun. Singen wir darum, um den Überschuss an Freude und Trauer, den uns Gott ins Herz legte, weiterzugeben. Diesen Überschuss hat jede und jeder unter uns. Denn Singen ist eine Gabe Gottes, die wir alle haben.
Gesang ist aber nicht nur die Weitergabe einer göttlichen Botschaft. Singen bewirkt auch immer Gemeinschaft. Die ältesten Lieder in unserer Kirche waren nicht für den Sologesang bestimmt, sie waren vielmehr zum Singen im Gottesdienst und zum Singen in der Gemeinschaft entstanden. Als Sängerinnen und Sänger im Gottesdienst oder in einem Chor leben wir Gemeinschaft. Und Gemeinschaft ist nur da, wo man eines Herzens und eines Sinnes ist. Genau das sollte beim Singen so sein. Wenn man gemeinsam singt, dann hat man keine Möglichkeit zu schreien oder zu brüllen, oder sich Fedeworte an den Kopf zu werfen und zu kommandieren. Wenn gemeinsamer Gesang zum Gebrüll oder Kampfgeschrei wird, dann hat man einen wichtigen Punkt des Singens vergessen. Singen dient dem Frieden – Singen fördert den Frieden, denn man ist ein Leib und eine Gemeinschaft. Singen in Gemeinschaft kann man nur, wenn man wirklich dazu breit ist. Ansonsten geht das nicht.
Heute sind viele aktive und ehemalige Sängerinnen und Sänger unter uns, die in den letzten Jahrzehnten in der Kantorei der Marktkirche oder im Konzertchor mitgesungen haben. Sie alle haben aus ihrer Gabe eine Aufgabe gemacht Sie können nicht nur singen, sie finden auch den richtigen Ton, der ihnen empfohlen wird. So haben über viele Generationen auch in der Kantorei der Marktkirche Sängerinnen und Sänger etwas weiter gegeben von dem Frieden, den die Engel damals bei der Geburt Jesu verkündigten Sie alle können es und konnten es immer wieder, in dem sie von Freunde und Liebe, von Trauer und Klage, von Angst und Mut gesungen haben Sie haben die göttliche Botschaft für die Zuhörenden in menschlicher Weise weitergegeben. So haben Sie sich  in die Reihe der göttlichen Botschafter gestellt, die etwas von Gottes Frieden aus ihrem Herzen quellen lassen.
 
Das Jubiläum unseres Chores ist sicherlich Anlass genug, dafür zu danken, Gott zu danken, für all die vielen Menschen, die sich in der 125 jährigen Geschichte des Chores als Botschafter, vom Frieden Gottes zu singen in Dienst haben nehmen lassen
Es ist Anlass, Gott zu danken, dass er uns alle als Menschen und nicht als Roboter geschaffen hat. Danken wir Gott, dass wir Gefühle haben und einen Überschuss davon, den wir mit Singen ausdrücken können. Danken wir Gott, für die Gabe, Trauer und Freude, Angst und Sorge im Lied
auszudrücken. Die Engel auf den Feldern sangen: Ehre sei Höhe und Friede auf Erden!“ Ich wünsche allen die fernerhin in unserer Kantorei mitsingen, dass sie Freude haben am Singen und durch ihr Singen beitragen zur Verkündigung des Friedens in dieser Welt und dass es immer zum Lobe Gottes geschehe: Ehre sei Gott in Höhe!
 
Amen
 
 
 

 
Predigt zu Matthäus 17, 1-9 zum letzten Sonntag nach
Epiphanias, 01.02.2009, Marktkirche Neuwied
 
Liebe Gemeinde!
 
Es gibt Momente, die vergisst man nicht. Es gibt Momente da kann man nur staunen. Mir ging das im letzten Jahr bei meiner Wandertour so. Nach unsäglichen Mühen und nach anstrengend sechsstündigen Aufstieg der Gipfel der Zugspitze – erreicht Ein Staunen beim Anblick der Berge und natürlich auch ein Moment der Selbstbestätigung  - geschafft.
So muss das wohl auch den drei Jüngern ergangen sein bei ihrer Bergbesteigung mit Jesus,  von der uns unser heutiger Predigttext berichtet: Wir hören  aus:
                                Text: Matthäus. 17, 1-9
Es ist schon eine sonderbare Erscheinung, die den dreien da oben auf dem Berg widerfährt. Jesus – im göttlichen Lichterglanz – umrahmt von  den zwei Säulen des alten Testamentes von Mose und  von Elia. Dazu die Stimme Gottes. Gott so vor Augen und so vor Ohren zu haben, dem Himmel so nahe zu sein wie die Jünger – es gibt wohl keine tiefere Glaubenserfahrungen in unserem Leben.
Aber -  lassen Sie uns erst einmal mit den Jüngern mitgehen. Es geht bergauf. Jesus führt drei seiner Jünger auf einen hohen Berg „nach sechs Tagen“. Heraus aus dem Tal und heraus aus dem Alltag, hinauf zum Gipfel und zum Sonntagserlebnis – eben nach sechs Tagen. Und in der Tat, es wird für die Jünger zu einem Festtag. Können sie das nachempfinden, wie das ist, wenn man nach den Strapazen endlich oben angekommen ist? Die Aussicht – die Ruhe-  die klare Sicht. So richtig durchatmen zu dürfen und bis an den Horizont  zu sehen. Endlich - für eine kurze Zeit über den Dingen stehen, von oben, gleichsam von außen – die Dinge betrachten und die Ängste und die Alltagssorgen im Tal zurücklassen. Die Nase über den Berg der Arbeit hinausstecken. Hier oben auf dem Berg ist die Sicht der Dinge klar und vieles da unten wird für ein paar Momente klein. Was für ein Perspektivwechsel !
Das sind wahre Gipfelerlebnisse, Höhepunkte in unserem Leben. Es ist  dann so, als ob wir dem Himmel ein Stück näher kommen. Und in solchen Momenten könnten wir vor lauter Glück, Gott und die Welt umarmen.
Neben Jesus erscheinen Mose und Elia Und das ist kein Zufall, liebe Gemeinde, dass es gerade diese beiden sind. Auch sie haben beide ihr Bergerlebnis gehabt. Mose empfing auf dem Berg Sinai die zehn Gebote, die Gebote des Lebens. Und so wie Mose einst die Israeliten aus der Knechtschaft und Unterdrückung geführt hat, so befreien auch uns solche Glaubenserlebnisse vom ständigen Druck der täglichen Sorgen. Und Elia, der vor der Königin Isebel flüchtet, weil er ihre Baalspriester umgebracht, flieht in die Wüste an den Fuß des Berges, hier wird er von Engeln Gottes wieder auf die Spur gesetzt und ins Leben zurückgeholt – zwei Menschen also mit außergewöhnlichen Bergerlebnissen.
Petrus fällt in diesem Moment nichts anderes ein, als das er Hütten bauen will. Er will diesen Glücksmoment diesen unglaublichen Augenblick festhalten und deshalb da bleiben. Doch das geht nicht, liebe Gemeinde. Solche Momente kann man nicht festhalten und konservieren. Mir wird das immer wieder auf den Kirchentagen klar. Und wer schon einmal auf dem Kirchentag war, kann das vielleicht nachvollziehen. In diesem Jahr wird es ja vielleicht  wieder ähnlich sein in Bremen. Da gibt es die enthusiastische Stimmung, die singenden U – Bahnen, solche religiösen Höhepunkte sind für viele gut, aber sie lassen sich nicht festhalten und sie lassen sich auch nicht mitnehmen in unsere Gemeinden. Solche Erlebnisse sind nicht von Dauer. Und doch brauchen wir sie. Statt Hütten zu bauen, verweist Gott auf Jesus. Denn während Petrus noch redet, überschattet sie eine lichte Wolke und eine Stimme aus der Wolke sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ Nicht bei Gott  da oben also sollen wir unsere Hütten bauen. Wir leben ja nicht im Himmel, sondern er selbst will bei uns einziehen in unsere Herzen. Nicht wir sollen in den Himmel abheben und dort Luftschlösser bauen, nein er will zu uns herunter- kommen, auf den Boden der Tatsachen. Hier auf der Erde finden unsere Gipfelerlebnisse statt. Bei uns im ganz normalen alltäglichen Leben Und das geschieht, wenn wir auf seinen Sohn hören.
Und das erste, was Jesus nun sagt, und worauf wir hören sollen, ist: Steht auf und fürchtet euch nicht !“ In diesem einen Satz ist das ganze Programm Gottes, sein Evangelium zusammengefasst und angesagt. „Fürchtet euch nicht!“, das ist die Weihnachtsbotschaft, „Und steht auf !“ Ist das nicht ein Vorgeschmack, ein Ausblick auf Ostern. Auferstehung bereits mitten im Leben. Weihnachten und Ostern sind hier in einem Satz zusammengefasst. „Steht auf und fürchtet euch nicht !“ Jesus wird nicht müde, dies den Menschen immer wieder zusagen und sie aufzurichten und ihnen die Furcht zu nehmen. Einem Menschen, wie zum Beispiel Petrus, der einst voller Angst und Schrecken meinte, nichts wert zu sein und sich nichts zu zutrauen Jesus ruft ihn an: „Fürchte dich nicht, ich will dich zum Menschenfischer machen.“
„Steh auf!“, sagt  Jesus zu dem Lahmen, dem niemand mehr zutraut, das er je eigene Schritte in seinem Leben gehen kann. „Und er stand auf, nahm sein Bett und ging.“ Auferstehung bereits mitten im Leben. „Steht auf und fürchtet euch nicht!“!
Steht auf und fürchtet euch nicht! Das gilt besonders wenn es nun wieder bergab geht zurück ins Tal, zurück in den Alltag Die Bibel ist realistisch genug, zu wissen, dass ein Sonntagsausflug für die Seele nicht von Dauer ist. Wir leben nicht nur sonntags sondern tagtäglich, alltäglich Die Luft auf dem Berg ist auf Dauer zu dünn zum Leben  Im Tal findet unser Leben statt und dort sind unsere Hütten und Häuser. Und so müssen wir wieder hinunter vom Berg, hinunter in den Alltag, denn zwischen Weihnachten und Ostern liegt nicht nur aber auch das Tal der Passionszeit Doch wir gehen nicht allein. Jesus bleibt nicht oben, er geht mit hinunter in unser Tal, denn es ist ja auch sein Tal. Ja mehr noch: er durchleidet dieses Tal mit uns zusammen. Er begleitet uns dort, wo es für uns nicht gut ist zu sein, nämlich dort wo wir leiden und Angst vor dem Alltag haben. Sein Wort können wir auch hier unten hören: „Steh auf und fürchte dich nicht !“ Lass dich nicht von deiner Angst überwältigen, vertraue darauf, dass Gott dir nahe ist. Jesus will uns damit stärken, Kraft geben für die eigenen schweren Stunden. Das Bergerlebnis , das die Jünger erfahren haben, gibt ihnen die Kraft und die Energie, alles dran zu setzen, dieses Licht auch ins düstere Tal mitzunehmen und dort hineinleuchten zu lassen. Und so werden die Jünger selbst zum Licht für ihre Mitmenschen. So wirken sie für andere wie ein Fenster, durch das sehr viel Licht Gottes auf diese Erde fällt.
Merkwürdig scheint noch einmal der Satz am Schluss der Geschichte: „Und Jesus gebot ihnen und sprach: Ihr sollt niemandem davon  sagen bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ Wer hätte die Jünger auch wirklich verstanden hier auf der Erde, im Tal, wenn sie davon erzählt hätten, dass sie den Himmel erlebt hatten. Gott kommt es nicht darauf an, dass wir solche Erscheinungen vorweisen können. Allein, dass wir seine Botschaft hören und dass wir erfahren, dass dort, wo wir die Angst verlieren und aufrecht leben können, ein Stück Himmel auf Erden geschieht und wir ihm dort begegnen, das ist ihm wichtig.
Bei einem Besuch erzählte mir letzthin jemand sein Kriegserlebnis. In den letzten Tagen des 2.Weltkrieges war er in einem Hinterhalt geraten und hörte um sich nur noch das Knattern der Maschinengewehre - eine schier aussichtslose Situation. Und dann sagte er: „Wissen Sie wie da überhaupt lebend durchgekommen bin, das lag nicht in meiner Hand, da hat mich jemand geführt, ja da hat mich Gott an die Hand genommen. Seitdem habe ich eigentlich erst gelernt, was Gottvertrauen bedeutet. Was dieser Mann erlebt hatte, war sein Bergerlebnis mitten im Tal der Angst und  der Verzweiflung.  Natürlich nannte er es nicht so. aber in der Sache war es genau das. Diese Erfahrungen hat ihn dann in vielen anderen Lebenssituationen später durchgetragen.
Nun  hat nicht jeder so ein Bergerlebnis, liebe Gemeinde, Und was ist mit denen, fragen wir, die solch eine Erfahrung nicht gemacht haben. Es gibt sicherlich viele, für die ist es anders verlaufen ist  Sie können ihr Vertrauen nicht so einfach auf Gott nicht an bestimmten Situationen, geschweige denn an bestimmten Orten und Zeiten festmachen. Sie sind einfach  mit christlichen Werten aufgewachsen, wie das halt so üblich ist, vieles haben sie sich angeeignet, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis, die 10 Gebote und so manche biblische Geschichte, vieles haben sie vielleicht jahrelang davon nicht verstanden, vieles vielleicht auch abgelehnt. Aber irgendwie haben sie dann gemerkt, dass an allem etwas dran ist, das sie trägt und aufrichtet und ihnen die Angst im Leben nimmt. Das „Steh auf und fürchte dich nicht“ platzte nicht plötzlich in ihr Leben, aber es wuchs in ihnen und wächst hoffentlich auch weiter in uns allen ganz gleich wie wir mit diesem Gott in Berührung kommen oder vielleicht noch mit ihm in Berührung kommen werden. Denn diese Worte des Himmels können wir schon jetzt und hier auf Erden hören: Steh auf und fürchte dich nicht ! Amen
 
 

 
Predigt zu Lukas 18,27 (Jahreslosung) am 31. Dezember 2008
in der Marktkirche , Neuwied
 
Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Erinnern Sie sich noch, liebe Gemeinde, Paulchen Panther der rosarote Panther hat das Lied gesungen,  damals als ich noch ein Kind war und Zeichentrickserien liebte. Dieses Lied markierte das Ende der Sendung und es vertröstete mich auf ein nächstes Mal.
„Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder keine Frage.“ Na Gott sei Dank, habe ich damals gedacht.
Und es hat funktioniert, ich konnte mitsingen und ich war froh, dass es ein nächstes Mal gab. Die Zeit war gestaltet und strukturiert und ein Spannungsbogen bis zur nächsten Woche gesetzt.
Die Leichtigkeit des Seins auch und gerade im Umgang mit der Zeit, so wie  wir das vielleicht in Kindheit und Jugend erlebt haben, sie ist mir und uns abhanden gekommen. Ob das wohl das Alter macht oder ob es daran liegt, dass unser Leben mehr und mehr von der Diktatur der Uhren gezeichnet ist. Die Zeit vergeht wie im Fluge und kommt es uns nicht so vor, als ob wir gerade Silvester 2007 gefeiert hätten.
Da ist es gut, dass wir im Tempo der Zeiten und an der Schwelle zu einem neuen Jahr innehalten können und uns einem Wort der Bibel öffnen.
„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“. So lautet die Jahreslosung für das Jahr 2009. Wie ein Rätselwort kommt uns diese Losung entgegen. Jesus selbst hat diesen Satz gesagt. So jedenfalls lässt es sich im Lukasevangelium nachlesen, Vorausgegangen ist diesem Satz eine Begegnungsgeschichte. Jesus trifft auf  einem jungen Mann, der reich ist und viele Güter hat. Dieser war auf Jesus zugegangen und hatte ihn gefragt: "Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?" Ein Mensch war er also, der sich durchaus Gedanken machte über sein Leben, über Sinn und Ziel des Lebens und nicht zuletzt über das ewige Leben. Jesus erinnert ihn zunächst an die Zehn Gebote, die Regeln für ein gutes Leben und Zusammenleben; er sagt: "Du kennst die Gebote: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren."
Die Gebote bilden die Grundlage dafür, dass unser Leben gelingen kann, aber sie sind nicht alles. Denn als der reiche Mann beteuert, dass er die Gebote von Jugend auf gehalten hat, da spricht Jesus zu ihm: "Es fehlt dir noch eines. Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach." Das Halten der Regeln ist das eine, die Haltung der Hingabe aber noch mehr. Doch darauf kommt es an, sagt Jesus: Alles, allen Besitz, das ganze Leben in den Dienst der Nachfolge stellen.
Als der reiche Mann sich daraufhin traurig abwendet, sagt Jesus: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme." Das ist so eindeutig, dass es fast zum Sprichwort geworden ist. Selbst bei uns, wo es keine Kamele gibt, steht einem das Bild klar vor Augen: Dass ein Kamel durch die kleine Öffnung einer Nadel geht - unmöglich! Entsprechend wird auch die Reaktion damals gewesen sein: Entsetzte Blicke, und Fragen: Wer kann dann selig werden? Aber daran hatten sie wohl nicht gedacht, dass das Unmögliche nicht unmöglich ist bei Gott. Jesus sagt es ihnen: "Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich."
Was bei den Menschen unmöglich ist ... - da muss ich am Ende eines alten und Anfang eines neuen Jahres als Erstes an die vielen guten Vorsätze denken. Gehören Sie auch zu denen, die solche guten Vorsätze für das neue Jahr haben? Viele nehmen sich vor, im neuen Jahr auch in ihrem Leben etwas neu zu gestalten und schlechte Gewohnheiten zu unterlassen. "Das ist meine letzte Zigarette am Silvester- abend, ab morgen rauche ich nicht mehr", verspricht einer, und der zweite nimmt sich vor, weniger zu trinken. Mehr Zeit für die Kinder, mehr Sport oder weniger Fernsehen - unsere Vorsätze sind vielfältig. Es begegnen mir jedoch auch andere, die sagen: "Gute Vorsätze gibt es bei mir nicht mehr. Ich halte das ja doch nicht ein." Und das ist richtig: die meisten guten Vorsätze sind nach wenigen Tagen oder spätestens nach ein paar Wochen längst vergessen.
Wahrscheinlich ist es realistisch, auf gute Vorsätze zu verzichten. In den meisten Fällen ist es nämlich unmöglich, den guten Vorsatz einzuhalten oder gar durchzuhalten. Was bei den Menschen unmöglich ist ...
Ich finde es eigentlich schade, wenn man sich nichts Neues vornimmt für das neue Jahr.  Es geht dann einfach so weiter, wie es im vergangenen war. Nichts Neues, es bleibt beim alten Trott. Kein Versuch, etwas anders zu machen, wahrscheinlich auch keine großen Erwartungen an das neue Jahr, keine Hoffnungen, Wünsche, Träume.
Doch: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. Das klingt für mich wie eine Einladung, es doch wenigstens zu probieren. Nicht alles beim Alten zu lassen. Den Jahreswechsel als eine gute Chance zu sehen, Neues zuzulassen. Nicht aus eigener Kraft, aber im Vertrauen auf Gott kann das Unmögliche möglich werden, kann das neue Jahr wirklich Neues bringen.
So wird der Jahreswechsel zur Chance, das eigene Leben im Vertrauen auf Gott neu werden zu lassen. Nicht nur eine neue Zahl zu schreiben, sondern wirklich Neues anzu- fangen. Im Wiederholen der Jahreslosung kann ich mich fragen: Was kann neu werden in meinem Leben in diesem Jahr?
Was bei den Menschen unmöglich ist ... - das ragt weit über das private Leben hinaus. Für Menschen unmöglich - so lassen sich derzeit fast alle Versuche charakterisieren, unsere Welt besser zu gestalten. Die Politik erscheint zunehmend hilflos gegenüber den Herausforderungen unserer Zeit. Wegen des Klimawandels ist im vergangenen Jahr sehr viel über alternative Energien gesprochen worden. Doch sogleich gerät Biosprit in Verruf, den Hunger auf der Welt zu vergrößern; und an der Atomkraft scheiden sich weiterhin die Geister. Es wird viel geredet, aber es tut sich fast nichts
Nicht viel anders ist es mit den großen Reformvorhaben. Sei es die Bildungspolitik, sei es die Gesundheitsreform oder die Diskussion um den Mindestlohn: Gute Ansätze werden in der Debatte zerrieben, und am Ende gibt es kaum spürbare Veränderungen. Ganz zu schweigen von den großen weltweiten Herausforderungen: Das Wachsen der Weltbevölkerung, Hunger und Katastrophen, der Unfriede und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Für Menschen unmöglich - das scheint unsere hoffnungs-lose Lage zu sein.
Was heißt es da, auf Gott zu vertrauen, bei dem das Unmögliche möglich ist? Vaclav Havel, der Schriftsteller und langjährige Präsident Tschechiens, hat einmal gesagt: "Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen." Vielleicht ist es ja wirklich so: Die so genannte Realpolitik hat keine Chance mehr, Veränderung kann nur noch so geschehen, dass man versucht, das Unmögliche zu realisieren.
Erinnern wir uns, 2009 ist der große Umbruch im Osten 20 Jahre her. Ich kann mich noch gut daran erinnern: Der Fall der Mauer, die Öffnung der Grenzen, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die Umgestaltung des früheren Ostblocks - was 1989 möglich wurde, hatte ich wie viele andere für unmöglich gehalten. Von diesen Erfahrungen ist auch die Einstellung Vaclav Havels geprägt, dass Politik die Kunst des Unmöglichen ist. Solche Veränderungen kann man nicht herbeizwingen, aber nur mit dem Unmöglichen haben wir eine Chance für die Zukunft. Gut, wenn man dabei auf Gott vertrauen kann.
„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“. Als Jahreslosung ist dieses Wort ein paradoxer Wegweiser, es zeigt einen unmöglichen Weg. Das Mögliche ist zu wenig für das neue Jahr, das Unmögliche aber kann ich nicht machen. Es kann mir nur geschenkt werden.
Aber Gott traut uns zu, diesen unmöglichen Weg zu gehen. Er traut uns zu, dass Neues geschehen kann, weil das Unmögliche bei ihm möglich ist. Im Rückblick weiß ich auch, dass das geht. Ich nehme an, Sie kennen es auch: Da gab es Situationen in meinem Leben, da habe ich gedacht: Das schaffe ich nie. Das halte ich nicht durch. Doch dann war die Kraft dafür da. Gott hat das Unmögliche möglich gemacht. Mit solchem Gottvertrauen können wir in das neue Jahr gehen. Gott traut es uns zu.
Was wollen Sie tun, wenn das Unmögliche sich realisieren lässt im neuen Jahr? Ich nehme an, einigen macht der Ge- danke Angst. Bevor alles neu wird, belassen es viele doch lieber beim Alten. Andere stecken vielleicht voller Ideen und Tatendrang, wollen gleich die Ärmel hochkrempeln und alles neu machen.
So wünsche ich es uns: Dass wir im neuen Jahr alles von Gott erwarten. Jeder der 365 Tage ist ein Geschenk an uns, voll großer oder kleiner Wunder und Überraschungen. Wenn wir dafür offen sind, kann das Unmögliche geschehen, und die Losung kann uns zur Verheißung werden: "Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich." So sei es.
 

 

 

 

 

Gottesdienst am Heiligen Abend 2008

Begrüßung:
Das Unbeträchtliche wieder betrachten,
dem hilflos Kleinen eine Chance geben,
das Unscheinbare leuchten lassen,
dem Machtlosen die Stärke ansehen
das Niedrige hochachten
und an die Veränderung glauben
Das ist Weihnachten - damals und heute
Ich begrüße Sie zum Gottesdienst am Heiligen Abend in der Marktkirche und ich lade sie ein in dieser Stunde nach dem zu fragen , was die Mitte des Festes ist, das wir heute feiern und was Weihnachten für uns bedeutet.
Dies wollen wir tun im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen.
 
 
Eingangswort:
Vertraut sind uns manche Worte, die wir heute Abend hören und wir hören sie gern, immer wieder. Jedes Jahr bringen sie uns die gute Nachricht, jedes brauchen wir sie, um uns zurecht zu finden und zur Ruhe zu kommen.
So lassen Sie uns die alten Worte hören, aber auch neues darin entdecken, denn Gottes Wort ist lebendig und macht uns lebendig. 
 
Gebet
Wir kommen zu dir, Gott
an diesem Heiligen Abend.
Erschöpft von den Anstrengungen der letzten Wochen,
müde von den Vorbereitungen des Tages
und gespannt auf das, was dieser Abend uns bringt.
 
Wir bitten dich, Gott
lass uns jetzt zur Ruhe kommen,
dass wir loslassen können,
was uns eben noch beschäftigt hat.
 
Schenke uns Gelassenheit.
Führe zu einem guten Ende, was wir begonnen haben.
Lass uns aufmerksam werden,
dass wir deine vertraute Botschaft wieder neu hören können.
 
Und das wahr wird, was du verheißen hast:
Frieden
in unseren Herzen
in unseren Häusern
in unserem Land und überall auf der Erde.
Durch Jesus Christus deinen Sohn
und durch deinen Heiligen Geist. Amen
 
Lesung aus dem Alten Testament
Die Propheten, die Menschen, denen der Weitblick von Gott geschenkt wurde, so dass sie über ihren Horizont schauen konnten haben ihre Hoffnung und ihre Erwartung in Worte gefasst:
So schreibt der Prophet Jesaja:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande scheint es hell.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder- Rat ; Gott-Held, Ewig - Vater Friedefürst auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er es stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth
Und im Propheten Micha heißt es:
Und du Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.
 
Predigt zu Lukas, 2, 1-14 zum Heiligen Abend ,
24.12. 2008, Marktkirche Neuwied
 
Liebe Gemeinde !
 
1. Diese Geschichte ist nicht unbedeutend
Stellen Sie sich das Ganze bitte nicht zu klein und nicht zu harmlos vor. Dies große Ensemble: die Engel, der Glanz Gottes, der Chor der himmlischen Heerscharen.  Was uns der Evangelist Lukas da erzählt, das ist gigantisch. Vielleicht würden wir heute sagen:  Ganz großes Kino ist das. Der Himmel geht auf, ein Gottesbote erscheint, strahlendes, blendendes Licht mitten in der Nacht. Wer nicht weiß, wie die Sache ausgeht, könnte meinen, das ist das Ende: ein Weltuntergangsszenario. Und erst, als alle schon vor Angst vergehen, erst dann kommt die Stimme: "Fürchtet euch nicht!"
Nein, liebe Gemeinde, man darf sich diese Szene wirklich nicht zu klein und nicht zu harmlos vorstellen. Was uns Lukas hier eher kurz und knapp erzählt, das ist immerhin jener Moment, in dem aus seiner Sicht das Schicksal der Welt eine radikale Wendung nimmt. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wird einer kleinen Schar von Hirten offenbart, was kurz zuvor in aller Stille in einem Haus in der Nähe vor sich gegangen ist: ein Kind wurde geboren. Nein, nicht ein Kind - das Kind wurde geboren. Das Kind, das alle Macht der Welt beanspruchen darf; das Kind, das  Namen erhält, die alles andere überragen: Retter - Christus - Gesalbter - Herr.
Das sind Herrschernamen, Namen, die eigentlich den Mächtigen dieser Welt vorbehalten sind. "Der Herr", das ist der Kaiser, niemand sonst. Doch damit ist jetzt Schluss. "Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen". Haben Sie die Worte Marias noch im Ohr? Jetzt ist es soweit, jetzt ist der Moment gekommen. Von einer Minute zur anderen ist nichts mehr, wie es war. In einem hinteren Winkel der damals bekannten Welt nimmt etwas Neues seinen Anfang. Vom Glanz Gottes und vom Chor der himmlischen Heerscharen begleitet. Nein, ich stelle mir die Nacht der Hirten wahrlich nicht als Nacht der leisen Töne vor.
 
2. Die Nacht der Hirten –
das ist die Nacht der guten Nachricht. Die Nacht der frohen Botschaft. Die Nacht der Freude. Für den Evangelisten Lukas heißt das auch: die Nacht des Glaubens. In dieser Nacht scheint etwas auf, und die Sehnsucht der Menschen bekommt eine Gestalt. Etwas, das in den Herzen wartet, kommt ans Licht, kommt ins Licht. Von dem, auf den alle hoffen, berichtet der Engel. Es ist die Nacht des Glaubens, denn es wird ja zuerst dort hell, wo der Engel die frohe Botschaft verkündet. Nicht das Geschehen im Stall von Bethlehem erstrahlt als erstes, sondern das Wort, das von Gott kommt, ist vom Glanz umgeben. Das eigentliche Ereignis, der Ort der Geburt, der Futtertrog, Maria, Josef und das Kind - das alles bleibt erst einmal  noch im Dunkel. Die Hirten werden  vielmehr auf die Engelsrede hin, auf dieses eine Wort hin, werden sie aufbrechen und nach dem Zeichen suchen, das der Engel ihnen genannt hat. Auf das Wort hin. Sie müssen aufbrechen, sie wagen Zutrauen , und sie bringen das Wort und das Zeichen zusammen – das ist Glaube und darum ist diese Nacht zuerst eine Nacht des Glaubens.
Die Hirten hören dieses Wort stellvertretend für alle. Der Auftritt des Engels wird sich nicht wiederholen. Ein für alle Mal ist kundgetan, was soeben geschehen ist: "Euch ist heute der Heiland geboren." Es liegt an ihnen, den Hirten, diese Nachricht zu verbreiten. Für das ganze Volk soll diese Freude sein, alle sollen daran teilhaben, die ganze Welt. Wird man den Hirten Gehör schenken? Können sie selber es überhaupt fassen? Vor allem aber: Wo ist dieses Kind?
 
3. Dem Wort folgt das Zeichen –
Dem Wort folgt das Zeichen, aber was für ein Zeichen! Windeln und ein Futtertrog! Ja, mein Gott, als ob nicht Dutzende Kinder in Betlehem in Windeln gewickelt sind. Und wenn denn wirklich alle Häuser überbelegt sind wegen der Volkszählung, dann wird vielleicht nicht nur ein Kind an zweckentfremdeter Stelle abgelegt sein. Sie werden ganz schön suchen müssen, die Hirten. Windeln und Futtertrog, das sind nun nicht gerade Zeichen der Königswürde, aber es sind die Zeichen der Menschlichkeit.
Daran ist dem Erzähler Lukas vor allem gelegen, das möchte er deutlich machen: Ihr, die Ihr keine Kaiser und Könige seid, Ihr, die Ihr nicht zu den Mächtigen zählt, Ihr seid jetzt gemeint. "Euch ist heute der Heiland geboren!" Das ist kein Gerede, das ist ernst gemeint. Und weil dieser Retter keiner von denen "da oben" ist, darum werden Windeln und Futtertrog zum Zeichen, darum gibt es eine Hausgeburt und keine Niederkunft im Königspalast. Der Retter, der Messias, der Christus - er ist wirklich unten angekommen.
 
4.Von der Krippe zum Kreuz
Aus dem Futtertrog ist später dank Martin Luther die Krippe geworden. Und so lässt sich sprachlich schön formulieren: von der Krippe ans Kreuz. Denn zwischen diesen beiden, zwischen Krippe und Kreuz nämlich, wird sich das irdische Leben dieses Kindes, wird das Leben Jesu aufgespannt sein. Was unten beginnt, wird auch ganz unten enden - und hier am Anfang wie dort am Ende erscheint Gott in der Gestalt des Menschen. Kannst du das fassen? "Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht"  singen wir in einem Adventslied Können wir das fassen? Das hat die Welt bis dahin nicht gesehen. Was die Welt kennt, ist etwas anderes. Dass Gott redet zu den Propheten, dass Gott unsichtbar im Allerheiligsten des Tempels wohnt - das kannten die Menschen. Gott ist unnahbar und man muss ihm opfern - das wussten die Menschen. Doch ein Gott, der sich so zeigt, der im Dunkel zur Welt kommt, der im Dunkel der Welt wohnt, ein Gott, der am Ende selbst das Opfer ist - all das ist eigentlich ungeheuerlich. Das gab es bisher nicht. Windeln und Futtertrog, Krippe und Kreuz, Gott in der Gestalt des Menschen. Mit dem Verstand kaum zu begreifen, aber mit Händen zu fassen.
Jesus ist  kein Geist, keine Lichtgestalt, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir. Man kann, man darf ihn anfassen, und er wird sich im Laufe seines Lebens berühren lassen von Menschen, und er wird Menschen berühren, und sie werden gesund werden. All das wird geschehen, und die Menschen werden es sehen und weitererzählen. Gott in der Gestalt des Menschen. Ja, sogar in seinem tiefsten und schrecklichsten Moment, im Tod am Kreuz, werden Menschen dies sehen und sagen: Wahrlich das ist Gottes Sohn ! Gott selbst in der Gestalt des Menschen.
 
5. Der Nacht der Hirten folgt ein neuer Tag.
Und diesem Tag eine neue Nacht. Und der Lauf der Welt setzt sich fort. Noch gibt es Leid und Schuld, noch sind nicht alle Tränen abgewischt, noch hat der Tod Macht. Viele der folgenden Tage werden grau sein, und viele der folgenden Nächte werden dunkel bleiben. Und doch ist die Welt seit jener Nacht nicht mehr dieselbe Welt. Der Glanz auf dem Hirtenfeld ist nicht mehr rückgängig zu machen, er bleibt. Als habe in jener Nacht die Erde einen Kuss bekommen, der für die Ewigkeit reicht.
Seit diesem Moment zählen wir die Tage und Jahre anders. Christi Geburt ist der Wendepunkt - es gibt ein Vorher und ein Seitdem. Seitdem finden Glanz und Jubel Platz in den Herzen der Menschen. Wenigstens einmal im Jahr. Wenigstens einmal im Jahr soll uns kein Dunkel halten. Denn es ist doch schon geschehen: Euch ist der Heiland geboren, der Retter
Darum nehmen wir uns einen Moment Zeit, und suchen wir uns einen Platz an der Seite der Hirten. Fürchte auch du dich nicht. Auch für uns geschieht das alles. Auch uns ist eine große Freude angesagt. Auch wir sollen das Zeichen wissen: das Kind, in Windeln gewickelt. Auch für uns liegt es im Futtertrog, auch für uns wird es seinen Weg bis zum Kreuz gehen, auch für uns wird es vom Tod auferstehen. Auch für uns singen die Engel.
Und auch unserer Sehnsucht brauchen wir uns an diesem Abend nicht zu schämen und unsere Hoffnung müssen wir nicht klein. machen.  Nicht kleiner jedenfalls als den Glanz und den Jubel, der in dieser Nacht erklingt. Stimmen wir mit ein in den Gesang der himmlischen Heerscharen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens". Ja, Gott hat Wohlgefallen an uns , an dir und an mir. Du und ich, wir gefallen Gott - das dürfen wir so hören und darauf  bauen, und darum einstimmen. Er hat ein Wohlgefallen an uns trotz allem.
Es ist auch unsere Nacht, diese heilige Nacht. Es ist unsere Nacht, in der wir Wort und Zeichen zusammen bringen können. Es ist unsere Nacht, in der unsere Hoffnung neue Nahrung finden soll. Stellen wir uns also  an die Seite der Hirten, gehen wir mit ihnen und wir werden entdecken und finden, dass Gott nicht fern im Himmel ist, sondern ganz nah bei dir und bei mir. Und wir werden finden, was uns leben lässt. Amen
 
Fürbittengebet
Gott, Freund der Menschen,
zu dir kommen wir mit unseren Bitten;
vor dir legen wir ab, was uns berührt, bewegt und beschwert.
 
Wir bitten dich für die Familien, die in diesen Tagen miteinander feiern:
Schenke ihnen fröhliche Stunden der Begegnung untereinander, offene Ohren und Herzen und offene Worte füreinander.
 
Wir bitten dich für die, die viel allein sind in diesen Tagen: Sei du bei ihnen mit deiner Freundlichkeit, stärke und tröste sie.
 
Wir bitten dich für die, die nicht abschalten können,
die vom Ehrgeiz Getriebenen und von Leistungsdenken beherrscht sind:
Dass sie ausatmen können in deiner Nähe und die Wärme deiner Barmherzigkeit erfahren.
 
Wir bitten dich schließlich für uns alle als deine Gemeinde:
Lass uns im Herzen bewahren,
was du uns geschenkt hast mit dem Kind im Stall,
damit wir ein Licht der Liebe hinaustragen in die Welt.
Sei mit uns, du freundlicher Gott.
 

Liebe Gemeinde,
Ich weiß nicht wer oder was Sie heute morgen geweckt hat. Vielleicht ein lieber Mensch, der zärtlich seine Hand nach Ihnen ausgestreckt hat und sie sanft ans Aufstehen erinnert hat oder hat Sie das harte Läuten des Weckers aus dem Schlaf gerissen.
Ich weiß auch nicht, ob Sie eine geruhsame Nacht hatten oder ob etwas Sie nicht schlafen ließ.
Immerhin sind Sie aufgestanden und zur Kirche gekommen.
Heute ist Sonntag, der Tag des Herrn. „Gott ruhte am siebenten Tag von allen seinen Werken, die er gemacht hatte." So steht’s in der Bibel in der Schöpfungsgeschichte. Und weil Gott an diesem Tag nicht gearbeitet hat, haben auch wir heute frei, können ausschlafen oder zur Kirche gehen.
Mich freut, dass Gott sich gleich am Anfang der Bibel eine Pause gegönnt hat und damit den Feiertag erfunden hat. Seitdem liegt ein besonderer Segen auf diesem Tag. Der Sonntag ist sozusagen Geschenk an die Menschen.
Trotzdem ist er uns in letzter Zeit mehr und mehr verloren gegangen. Wir könnten uns die Ruhe nicht mehr leisten, wird uns gesagt. Es ginge nicht, dass die Arbeit am Sonntag ruhe und die Bänder stillstünden. Zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft gehöre es dazu, dass wir auch am Sonntag einkaufen könnten. Und schließlich ginge es ja nicht nur um’s Einkaufen an sich, sondern um das Erlebnis Shopping. Einkaufen als Freizeitangebot, als Sonntagserlebnis.
„24 Stunden am Tag geöffnet, 7 Tage die Woche,“ so sieht man es inzwischen in vielen Städten. Rund um die Uhr kann man und soll man einkaufen. Das Ladenschlussgesetz ist immer weiter ausgehöhlt worden.  6 Tage in der Woche reichen nicht. Der Tag des Herrn wird zum Tag paradiesischen Einkaufens.
Als Predigttext hören wir heute eine Geschichte von Jesus, in der es genau um dieses Thema geht. Jesus spaziert am Sabbat mit seinem Jüngern durch die Landschaft.
Das war damals gar nicht so einfach. Fromme Menschen hatten sich vorgenommen, Sorge zu tragen für dieses Geschenk des Feiertags. Sie wollten diesen Tag der Ruhe hüten, wollten einen Zaun darum machen, wie um einen schönen Garten, der geschützt sein soll.
Lange haben sie überlegt: was ist eigentlich Arbeit. Was ist am Sabbat erlaubt und wodurch wird der Schöpfungsfriede gestört. Manchmal aber, schossen sie bei ihren Überlegungen, dabei über das Ziel hinaus. Am Ende aber hatten sie einen genauen Plan, was am Sabbat erlaubt war und was nicht
Beispielsweise durfte man am Sabbat nur eine bestimmte Anzahl an Schritten gehen, nichts arbeiten und auch keine Hausarbeit verrichten.
Und nun geht Jesus spazieren. Und seine Jünger tun etwas, was den Zorn der damaligen Frommen erst recht erregt. Wie Kinder rupfen sie Getreidehalme aus. Das ist Ernte und damit Arbeit. Doch hören wir, was Markus berichtet:
                              Text: Markus 2, 23 -28
Liebe Gemeinde, ein Streit um die Heiligung des Feiertages. Dabei wollen beide, Jesus und die Pharisäer, dass der Feiertag geschützt bleibt. Und beide sind sich einig. Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt
Ich bin sicher: Jesus und seine Jünger wollten das 3. Gebot, das Geschenk der Sonntagsruhe, gar nicht übertreten. Jesus hat sich sehr genau an die Gebote gehalten. Er stört sich vielmehr an dem Zaun, an diesen Regeln um das Gebot herum. Jesus meint der tiefere Sinn des 3. Gebotes sei nicht damit schon erfüllt, dass man am Sabbat einfach nicht arbeitet. Nein, das Geschenk des Feiertags ist viel wertvoller, als die Verpackung, in die die frommen Pharisäer es gewickelt haben. Denn Gott ist nicht ein Gott der Verbote, sondern ein Gott des Lebens und der Lebensfreude. Jesus will uns den Sonntag neu schenken als Tag für uns und für Gott.
Ich erinnere mich, wie ich einmal im Religionsunterricht die 7 Schöpfungstage malen ließ. Die Gruppe, die den siebten Tag zu malen hatte, hatte Gott in einem Liegestuhl gemalt unter blauem Himmel und einer großen gelben Sonne. Direkt neben dem Liegestuhl waren ein Swimmingpool, eine Cola mit Eis und eine Stereoanlage und das Skateboard parkte unter dem Liegestuhl. Die Kinder hatten an alles gedacht, was ihnen Spaß machen würde an einem Ruhetag.
Klar, dass das Arbeiten und das Einkaufen nicht vorkam.
Überhaupt hat dieser Zwang zum Einkaufen mit einem unbestimmten Hunger zu tun. Den kennen wir vielleicht auch. Dann esse ich – meist mehr als mir gut tut, oder ich trinke oder ich kaufe ein und merke dann: das alles war’s nicht. Ich habe da meine inneren Organe verwechselt. Es ist die Seele, die Hunger hat, nicht der Bauch. Und meine Seele braucht Liebe, braucht ein Gespräch, braucht Auslüftung. Sie will den Alltag draußen verlassen, sich in den Garten legen, will ihre Flügel ausbreiten und sich über den Alltag erheben.
Das gehört zum Ruhetag, zum Sonntag. Und noch etwas gehört zum Sonntag: In der Bibel steht noch. Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte und siehe es war sehr gut.“ Der Sonntag hat ein Gütesiegel.
Jeder Sonntag verspricht uns neu. Du darfst jetzt mal aufhören zu arbeiten, du darfst zufrieden sein und zur Ruhe kommen, auch wenn bei dir nicht alles sehr gut ist, wie bei Gott, und die Arbeit noch nicht fertig ist. Du kannst es dir leisten, jetzt mal etwas für dich zu tun. Lieber eine unfertige Arbeit, als ein fertiger kaputter Mensch!
Der Sonntag hat ein Gütesiegel. Wir alle haben einen Tag geschenkt bekommen, der uns daran erinnern will, dass es viel Gutes und viel Güte in unserem Leben gibt, die wir nicht kaufen können.
Und das Größte: Gott segnete diesen siebten Tag. Von keinem anderen Tag wird das gesagt. Auf dem Ruhetag liegt Gottes Segen. Und dieser Segen will ausgewickelt werden wie ein Geschenk.
Für den gestressten Vater steckt der Segen vielleicht im ausgiebigen Frühstück mit der Familie. Für einen anderen im Gang nach draußen oder im Hören von Musik
Für Sie als Tauffamilie ist es heute ein Festtag und vielleicht für Sie, die Sie heute morgen aufgestanden sind und hierher gekommen sind – ist es der Gottesdienst: die Hinwendung zu Gott, von dem ich so viel Zuwendung erfahre.
Und ich brauche auch die Stille am Sonntagmorgen ohne den üblichen Lärm der Autos. In der Stille steckt ein Hauch vom Schöpfungsmorgen. Ich will nicht, dass der Sonntag im Kaufhaus endet oder im Stau mit kaputten Füßen oder schmerzendem Rücken wie an vielen anderen Tagen.
Wo die Woche einfach weitergeht ohne Pause, da werden wir es bald merken: „Ohne Sonntage gibt‘s nur noch Werktage“
Am Ende sagt Jesus: „So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.“ Darin wir